Text: Dennis Dirigo, Frank Fischer
1. Dezember 2018 | Das Wormser (Mozartsaal):
Im sechsten Jahr nach ihrer Reaktivierung wagten die Veranstalter der Wormser Rocknacht ein Experiment, das bei musikinteressierten Wormsern zuvor kontrovers diskutiert wurde. Statt wie in der Vergangenheit zehn Bands im fliegenden 30 Minuten Wechsel zu präsentieren, spielten in diesem Jahr lediglich sechs Bands, wovon drei nicht einmal dem Wormser Bandpool entstammen.
Nach stagnierenden Besucherzahlen in der Vergangenheit und der Erkenntnis, dass die derzeitige Musikszene in Worms doch eher übersichtlich ist, machte das eine Neuausrichtung erforderlich. Das warf bei Vielen die Frage auf, ob es dann noch eine Wormser Rocknacht ist, wenn die Hälfte gar nicht aus Worms kommt? Der Grundgedanke der Rocknacht war einst, jungen regionalen Bands eine Bühne zu bieten. Doch was machen, wenn der Nachwuchs ausbleibt? Warum nicht die Chance nutzen und daraus ein Rockfestival mit überregional bekannten Headlinern machen? Das führte dann auch zur zweiten Veränderung, dem Eintrittspreis, der ebenso leidenschaftlich diskutiert wurde. Aber auch Künstler wollen Geld verdienen, vor allem, wenn sie davon leben. Rund 500 erwartungsfrohe Zuschauer strömten schließlich in den Mozartsaal und erlebten in den folgenden Stunden eine der besten Rocknächte überhaupt. Los ging es mit den Newcomern von SALMA MIT SAHNE, die in der ungewöhnlichen Besetzung Gitarre, Akkordeon (!), Schlagzeug, Bass die Bühne enterten. Als Gewinner des Bandsupporter Contests Rhein-Main-Neckar erspielten sie sich bei dem Wettbewerb erfolgreich ihren Auftritt in Worms und stellten unter Beweis, dass man auch mit einem Akkordeon kräftig das Publikum rocken kann. Vom ersten Takt an stellte das Quartett klar, dass folkig angehauchte Liedermachertradition nicht gleichbedeutend ist mit gepflegter Nachdenklichkeit. Wer sich zuvor auf der Homepage einen musikalischen Eindruck verschaffte, konnte die erfreuliche Erfahrung machen, dass die Songs live eine gänzlich andere Wirkung entfalteten und bei den Zuhörern schnell ein breites Lächeln auf die Gesichter zauberten. Dem Lächeln folgte schließlich eine zünftige Polka durch dem Mozartsaal, die zugleich das würdige Finale einer hoffnungsvollen Nachwuchsband einläutete. Als Nachwuchs kann man die“ Jungs“ von FEROX nicht mehr bezeichnen, die an diesem Abend ihr 20-jähriges Bühnenjubiläum feierten. Musikalisch scheint indes die Zeit bei den vier Wormsern stehen geblieben zu sein. Zwar heißen sie zwischenzeitlich auch mal Amegaphon, an den musikalischen Vorlieben hat sich aber wenig geändert. Im krassen Kontrastprogramm zu Salma mit Sahne lieferte die Band ein temporeiches Punk-Set ab, das zwischen selbstgeschriebenem Material und musikalischen Huldigungen ihrer Vorbilder kurzweilig rockte. Dass der Sänger dabei nicht jeden Ton traf, Schwamm drüber, schließlich war das Punk und kein Voice-of-Germany-Contest. Im selben Tempo ging es im Anschluss mit der Youngster-Band ANDY‘S SISTER weiter, die seit vier Jahren ungebremst über die Bühnen dieser Region heizt. Was an Tönen nicht sitzt, wird mit Leidenschaft wettgemacht, und davon haben die vier jungen Männer jede Menge. Dass es aber auch eine Schippe harmonischer geht, bewiesen sie mit Stücken wie dem Semi-Hit der Band, „Ghost“. Pop-Punk zum abdancen, so bezeichnen Andy’s Sister selbst ihre Musik – und das trifft es durchaus. Zu gefallen wusste auch der kleine Ausflug ins Hip-Hop-Genre mit Sänger Andy Lead auf den Spuren von Eminem. Nach 30 kraftvollen Minuten folgte die musikalische Staffelübergabe an die Rocknacht-Routiniers von JOLEEN, die schon zum fünften Mal auf der Bühne im Mozartsaal standen. Live ist die Band um Frontmann Florian Schwöbel eine feste Bank, denn ihr moderner High-Gain-Sound, der von drei Gitarren verstärkt wird, geht dank seiner Poptauglichkeit direkt ins Ohr und erinnert in guten Momenten an die Foo Fighters, in weniger guten mitunter an Nickelback. Mit ihrem wohl bekanntesten Song „My Muse“ beendeten Joleen ein knackiges und kurzweiliges halbstündiges Set, das keine Wünsche offen ließ, ehe nach einer kleinen Pause VAN HOLZEN auf der linken Bühne loslegten. Mehr über den starken Auftritt von VAN HOLZEN in unserem Jahresrückblick. ITCHY erwiesen sich anschließend als würdiger Headliner der Rocknacht. Seit mehr als 15 Jahren ist die Band, die von 2001 bis 2017 unter dem Namen Itchy Poopzkid aktiv war, auf den Festivals dieses Landes zuhause und hat europaweit fast 1.000 Gigs gespielt. Die in dieser Zeit gewonnene Routine merkte man dem Trio – Sibbi, Panzer und Max – zwar an, an Spielfreude hat die Band aber nichts eingebüßt. Direkt mit den ersten Nummern, „Nothing“, „The Enemy“ und „Where Is The Happiness“, machten Itchy keine Gefangenen und entfachten einen brachialen Punksound, der das Publikum sofort mitriss. Über die komplette Konzertdauer hatte die Band die Menge fest im Griff, die kräftig hüpfte, die Arme schwenkte oder mitsang. Überhaupt stimmten die Interaktionen mit dem Publikum durchgängig. Da gab es Crowdsurfen von Sibbi auf einem Surfbrett oder einen ruhigen Song, den die Band inmitten des Publikums spielte, das sich zu diesem Zweck brav hinsetzte, ehe dann die ersten simplen, wie genialen Punkriffs ihres wohl bekanntesten Hits „Dancing in The Sun“ das Finale einleiteten. Nach zwei Zugaben war um 23.45 Uhr Schluss und das Publikum schwärmte nassgeschwitzt, aber zufrieden in die Wormser Kneipenwelt.
Fazit: Noch nie waren so viele auswärtige Besucher bei der Wormser Rocknacht, die zusammen mit den „Stammgästen“ die Bands feierten. Das Experiment mit einem auswärtigen Headliner ist beim ersten Versuch geglückt.