Er ist einer der bekanntesten Politikwissenschaftler Deutschlands, der 1958 in Hagen geborene Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte. Mit seinen messerscharfen Wahlanalysen ist er regelmäßiger Gast im Fernsehen. Darüber hinaus veröffentlichte er mehrere Bücher. Korte studierte Politikwissenschaften, Germanistik und Pädagogik in Mainz und Tübingen. Seit der Gründung im Jahr 2006 ist er Direktor der NRW School of Governance in Duisburg, wo er auch regelmäßig Vorlesungen abhält. Von 2010 bis 2017 war er außerdem Dekan der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Zu seinem umfangreichen Schaffen gesellt sich nun die Sendung „Worms Läuft“, die er seit Mitte Dezember moderiert und die zweimal die Woche – unter anderem über den Offenen Kanal – ausgestrahlt wird.
WO! Seit wann leben Sie in Worms?
Wir lebten in insgesamt fünf Bundesländern, ehe wir auf einen Reiterhof in Wiesoppenheim zogen. Vor sieben Jahren haben wir dann die Alte Schule in Worms-Hochheim gekauft. Wir wollten als Familie einen geografisch gut gelegenen Platz finden. Man kann sagen, Mobilität aus der Mitte heraus. Meine Frau ist zudem geborene Wormserin.
WO! Was macht Worms lebenswert?
Rheinhessen ist eine Wohlfühloase. Die Menschen sind freundlich im Umgang und meistens entspannt. Auch sagt mir das geografische Klima in dieser Region zu. Ebenso ermöglicht es Worms, das Kleine und das Große in einer Stadt zu erleben.
WO! Was sehen Sie in Worms kritisch?
Das Potential der Stadt ist nicht voll ausgeschöpft. Es fehlt ein Selbstbekenntnis bzw. ein Alleinstellungsmerkmal, wie man als Stadt wahrgenommen werden möchte. Mal ist es der historische Bezug, mal möchte man die familienfreundlichste Stadt in Rheinland-Pfalz sein. Ich weiß noch nicht, wofür diese Stadt steht.
WO! Wie kam es zu dem Sendeformat „Worms Läuft“?
Ich hatte ein Schaltgespräch mit verschiedenen Wormsern. Im Gespräch entwickelten wir die Idee, zu zeigen, dass auch in Corona-Zeiten vieles funktioniert. Ich habe mich anschließend mit wichtigen Akteuren wie David Maier (Kulturkoordinator) und Sascha Kaiser (Geschäftsführer KVG Worms) zusammengesetzt und überlegt, wen wir einladen. Zudem habe ich Corona bedingt an der Universität Duisburg-Essen zurzeit nur leider eine einzige Präsenzlehrveranstaltung, sodass es mir auch zeitlich möglich war, die Sendung hier in Worms zu machen.
WO! Erster Zwischenstand. Zufrieden bzw. was folgt noch?
Ja, sehr zufrieden. Es gab bisher eine große, positive Resonanz. Geplant haben wir aktuell bis zum 11. Dezember genau zehn Sendungen. Das Dialog-Format der Möglichkeitsmacher kommt an.
WO! Ende September veröffentlichten Sie einen Text, in dem Sie die Krisenpolitik lobten. Zwischenzeitlich ist ein neuer Lockdown verhängt worden und die Proteste nehmen zu. Würden Sie die aktuelle Krisenpolitik immer noch ausdrücklich loben?
Das tue ich immer noch. Es ist derzeit ein großes Dilemma für die Politik, Freiheit und Gesundheit im Blick zu behalten und abzuwägen. Das Ergebnis gibt allerdings den Verantwortlichen Recht. Man darf nicht vergessen, dass dies eine Ausnahmesituation ist und wir lernend immer neue politische Lageeinschätzungen in Alltagshandlungen übersetzen müssen.
WO! Was glauben Sie, warum immer mehr Bürger sich kritisch zur aktuellen Politik äußern? Liegt es auch an einer unzureichenden Kommunikation der Politik?
Die Bürger sind mittlerweile müde, erschöpft. Ich denke, dass es auch vielen schwer fällt, die Dauerappelle zu ertragen, wenn man selbst das Gefühl hat, dass man sich schon an die Regeln hält. Auch kommt hinzu, dass die Ungleichheiten größer und nicht kleiner werden. Die Politik muss wiederum ein großes Interesse daran haben, die Maßnahmen ausreichend zu erklären. Letztlich ist das Virus aufklärerisch. Es zeigt, was gut und was schlecht funktioniert.
WO! Es droht auch durch die wirtschaftliche Situation eine Spaltung der Gesellschaft. Kann die Politik ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft noch verhindern?
Es ist natürlich wichtig, jetzt einen zentralen Hoffnungs-Anker zu haben. Das ist im Moment der Impfstoff und damit die Aussicht auf ein Ende der Pandemie – alles früher als erwartet.
WO! In der Diskussion über die Demonstrationen der Corona Kritiker fällt mir auf, dass man versucht, die Proteste in einem negativen Kontext zu stellen. Ist das der richtige Umgang? Besteht darin nicht die Gefahr, dass sich diese Gruppen durch diese Ausgrenzung erst recht radikalisieren?
Man sollte das Thema nicht überbewerten. Die Leute, die aktuell demonstrieren, leben zum Teil in einer Blase. Nur weil die Proteste laut und gut inszeniert sind, stehen sie dennoch für eine überschaubare Minderheit. Die Demos selbst sind wiederum eine hybride Ansammlung von Betätigungsaktivisten. Ein Teil demonstriert sicherlich berechtigt gegen ungerechte, einseitige Schließungen, ein anderer Teil lebt Irrationalität aus.
WO! Gesetze, wie das neue Infektionsschutzgesetz, werden im Eiltempo durchgedrückt. Besteht die Gefahr, dass wir in eine Art autoritär geführte Demokratie abgleiten?
Nein, die Qualität der Demokratie hat sich gerade in der Krise bewährt. Die Ordnung der Freiheit hat weiterhin Vorrang. Die politischen Entscheidungen unserer gewählten Spitzenakteure fielen rasend schnell. Politik rettete konkret Leben. Die Gewaltenteilung – auch im Virus-Föderalismus – funktioniert. Teilweise agierten Gerichte als Ersatz-Opposition.
WO! Corona bedeutet auch ein stückweit eine Abkehr von der Globalisierung. Droht Europa nach der Pandemie ein Abgleiten wieder in nationales Denken?
Die Globalisierung ist sicher nicht zu stoppen, aber deutlicher gestaltbar. Wir können aus der Krise lernen und Dinge verändern. Wir können der Rettung eine Richtung geben. Das wäre das Primat der Politik im Kontext der Ökonomie. Zur Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft gehört es auch, sich z.B. über Verwertungs- und Lieferketten Gedanken zu machen. Ich glaube, dass die Krise letztlich eine große Chance für Europa ist. Daseinsvorsorge muss auch im Hinblick auf kritische Infrastruktur heute europäisch gedacht werden. Natürlich sehe ich auch die aktuellen Schwierigkeiten bezogen auf die Blockadehaltung von Polen und Ungarn. Andererseits hätte vor Jahren niemand daran geglaubt, dass Europa einmal einen so innovativen Haushalt verabschiedet, der mit völlig neuer Systematik auch konkrete Corona-Hilfen umsetzt.
WO! Zuletzt ein kurzer Blick nach Amerika. Ist Joseph Biden aus deutscher Sicht der bessere Präsident?
Joe Biden rückt etwas gerade, was unter Trump verrutscht ist. Dazu gehören Diplomatie und Berechenbarkeit, sodass man wieder gemeinsam reden kann. Biden setzt einen Optimismus frei, dass das Multilaterale wieder gilt. Mit Trumps Abwahl geht auch das Autokratische, Irrationale zu Ende. Ein wichtiges Datum wird nochmal die Senatorenwahl am 6. Januar sein. Wenn die Republikaner verlieren, werden diese sich wahrscheinlich von Trump deutlich distanzieren.
WO! Wir danken Ihnen für das Gespräch.