Ohne Zweifel wird Weihnachten dieses Jahr ganz anders sein als sonst. Nach einem Jahr, in dem man zwangsweise öfters innehalten musste, als einem dies lieb und recht sein dürfte, soll man zum Jahresende schon wieder innehalten. Vielleicht wäre das die beste Zeit, sich zu besinnen, welche Begriffe und Werte für Weihnachten stehen und anschließend danach zu handeln? Auch und gerade im Jahr 2020.

Denke ich an Weihnachten, fällt mir sofort der Begriff Familie ein. Weihnachten ist normalerweise die Zeit, in der die Familienmitglieder von überall herkommen und gemeinsam feiern. Das wird im Zuge von Kontaktbeschränkungen und Reiseverboten diesmal anders sein. In einem Jahr, in dem ein Virus die ganze Welt auf den Kopf gestellt hat, sollen große Familienzusammenkünfte zu Weihnachten möglichst vermieden werden. Aus Rücksicht auf die eigene Familie. Gemeinschaft fällt dieses Jahr also flach. Allerdings sollte man, so haben schon einzelne Politiker gefordert, in diesem Zusammenhang Verständnis aufbringen für andere Kulturkreise, die zwar kein Weihnachten feiern, aber sich traditionell in größeren Gruppen aufhalten. Verständnis bedeutet die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Das gilt aber auch in solchen Fällen für beide Seiten. Die meisten Bürger werden sich jedoch an die Empfehlungen unserer Kanzlerin halten und auch zu Weihnachten Kontakte vermeiden. Wie soll man aber in dieser Zeit Solidarität zeigen? Das ist noch so ein Begriff, der mir zu Weihnachten einfällt. Man könnte zum Beispiel den lokalen Einzelhandel unterstützen, anstatt Jeff Bezos noch reicher zu machen. Oder Solidarität mit den gebeutelten Gastronomen zeigen und die Weihnachtsgans beim Lieblingsrestaurant bestellen. Aber da wird bereits der erste Ego-Deutsche aufheulen, dass er doch in diesem Jahr schon solidarisch genug war. Mit all den Corona Helden an den Supermarktkassen und an der Tankstelle, aber vor allem den Ärzten, Krankenschwestern und Pflegekräften, die in dieser Zeit Unmenschliches geleistet haben. Dass sich aber auch acht Monate nach Ausbruch der Corona Pandemie immer noch nichts an den unhaltbaren Bedingungen des Pflegepersonals geändert hat, nehmen wir wortlos und schulterzuckend hin. Wir haben ja schließlich schon vor Monaten auf unseren Balkons geklatscht. Apropos Gesundheit. Da hatten nicht nur unsere Gastronomen, sondern auch die Fitnessstudios in zusätzliche Hygienemaßnahmen investiert und mussten dann doch wieder schließen. Konnte man aber beim ersten Lock-Down noch ins Grüne ausweichen, kommt eine Schließung über Winter ziemlich ungelegen. Solidarität hin oder her – da ist ein Kündigungsschreiben schnell verfasst. Außerdem müssen wir schon genug Solidarität zeigen mit all den Menschen aus der Veranstaltungsbranche – vom Bühnentechniker, über Veranstalter und Künstler, bis hin zum Kartenabreißer und der Klofrau. Nahezu die komplette Reisebranche, inklusive Hotels, steht auf der Kippe und wir sollen hierbei gleich noch Solidarität mit unserem Lieblingsreiseland zeigen. Zumindest einen Teil der Reisebranche, also die Lufthansa, hat unsere Regierung bereits erhört. Jetzt sollen wenigstens die Solo-Selbständigen bis zu 75% des November-Umsatzes aus dem Vorjahr erhalten. Das sollte ja wohl reichen als Ausgleich für ein Geschäftsjahr, das Mitte März 2020 abrupt endete und wann genau weiter gehen soll?

Wo bleibt das Mitgefühl?
Speziell zu Weihnachten hätte man sich von unserer Regierung etwas mehr Mitgefühl erhofft mit all den Menschen, die gerade ihre berufliche Existenz verlieren. Und ich rede hierbei nicht nur von den zwei Mio. Gastronomen und 1,8 Mio. Menschen aus der Eventbranche, sondern ebenso von den sechs Mio. Kurzarbeitern und vielen weiteren Gewerbetreibenden, die von der Corona Pandemie wirtschaftlich gebeutelt wurden. Da kommt in den nächsten Jahren so einiges auf die Sozial- und Gesundheitssysteme unseres Landes zu. Nicht vergessen möchte ich die 13,2 Millionen Menschen in Deutschland, die unterhalb der Armutsgrenze leben und dazu beitragen, dass wir eine Rekordarmut seit der Wiedervereinigung haben. Und während das Vermögen der 1,8 Mio. Millionäre in Deutschland, trotz oder wegen Corona, noch weiter angewachsen ist, wird das große Heer derer, die zukünftig vom Staat leben müssen und jahrelang in der Hartz 4 Mühle gefangen sein werden, ebenfalls weiter zunehmen. Aber im Endeffekt sind das nur Zahlen. Die Einzelschicksale dahinter sieht wohl kaum ein Politiker, geschweige denn, dass er auch nur ansatzweise Empathie empfinden würde. Denn die politisch brisanteste Zahl in diesem Jahr war eine andere: In Deutschland sind bis Ende November 15.000 Menschen, denen unser aller Mitgefühl gilt, an den Folgen einer Corona-Infektion verstorben. Weltweit gab es mehr als eine Million Corona Tote zu betrauern. Das ist eine gewaltige Zahl, die sich aber relativiert, wenn man sich vergegenwärtigt, dass gleichzeitig weltweit jedes Jahr 30 – 40 Millionen Menschen sterben, weil sie schlichtweg verhungern. Unser Mitgefühl dafür hält sich aber erstaunlich in Grenzen. Außer an Weihnachten, da kann man sein Gewissen mit einer Spende für „Brot für die Welt“ beruhigen. Sie merken schon an meiner Überspitzung: Es ist ein schmaler Grat zwischen Mitgefühl und Heuchelei. Denn es ist natürlich leichter, Mitgefühl zu zeigen, solange man selbst in einem krisensicheren Sessel sitzt. Das ist genauso, wie wenn in einer großen Firma eine Kündigungswelle ansteht und man zu den Glücklichen gehört, die nicht von der Rasierklinge getroffen werden. Dann zeigt man zwar Mitgefühl mit den Gefeuerten, aber freut sich doch insgeheim, (diesmal) verschont geblieben zu sein. So wie jetzt in der Corona Krise die Leute, die sich auf die Schultern klopfen können, beruflich alles richtig gemacht zu haben, weil ihr Umsatz/Einkommen trotz Corona gleichgeblieben oder sogar noch gewachsen ist. Selbst schuld, warum muss man auch als Musiker oder Kneipenwirt sein Geld verdienen? Kultur ist ganz nett als Zeitvertreib, aber doch nicht systemrelevant. Sagt auch Jens Spahn. Die mangelnde Empathie gegenüber Menschen, denen es gerade richtig dreckig geht – egal, ob wir nun von Corona Patienten oder von den Opfern der Kollateralschäden reden – zeigt vor allem eines: In Krisenzeiten ist sich der Mensch selbst am Nächsten.

Und was ist mit der Nächstenliebe?
Apropos, wie sieht es denn mit der an Weihnachten so hoch gepriesenen Nächstenliebe aus? Beim ersten Lock-Down machten die sozialen Netzwerke eine Zeitlang tatsächlich ihrem Namen alle Ehre, als die Hilfsangebote für die Hauptrisikogruppen das Netz geradezu überfluteten. Beim zweiten Lock-Down war es diesbezüglich schon deutlich ruhiger und es überwogen die Stimmen derer, die sich über die ihrer Meinung nach überzogenen Corona Maßnahmen beschwerten. Vermutlich hatten viele erst jetzt kapiert, dass es längst auch um ihren eigenen Arsch ging. Als es dann galt, selbigen zu retten, war es ganz schnell wieder vorbei mit der Nächstenliebe. Da riss so mancher seine Maske von der Fratze und zeigte sein wahres Gesicht. Aber wie soll man auch in Corona Zeiten seinen Nächsten, seinen Nachbarn, lieben, wenn man Angst haben muss, von diesem entweder angesteckt oder wahlweise verpfiffen zu werden? Letzteres, wenn es nach dem Willen von Karl Lauterbach geht.

Abspann
Es sind schon ungewöhnliche Zeiten, die wir derzeit erleben und wie Sie an dem bisherigen Text gemerkt haben, fällt es mir schwer, nicht mit Zynismus oder Ironie auf die aktuellen Entwicklungen zu reagieren. Dank Corona und den damit verbundenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus droht, dass unsere Gesellschaft in ihre Einzelteile zerfällt und jeder nur noch auf sich selbst schaut. Wenn wir uns aber bewusst werden, was Begriffe wie Gemeinschaft, Verständnis, Solidarität, Mitgefühl oder Nächstenliebe tatsächlich bedeuten, können wir diese Krise in den nächsten Jahren meistern.

Es geht nur gemeinsam!