Für Christian Ruppel war es ein erhabener Moment, als drei seiner LKWs mit der prägnanten Aufschrift seines Unternehmens Medienpark Vision den Hof in der Alzeyer Straße verließen, um nach Berlin zu fahren. Ziel: die Großdemonstration der Veranstaltungsbranche am 9. September 2020.

Seit rund 30 Jahren verdient der Wormser seine Brötchen damit, Veranstaltungen im optimalen Sound erklingen zu lassen und die dazu passende Beleuchtung zu zaubern. Dann kam im Frühjahr der politische Entschluss, dass bis auf Weiteres Großveranstaltungen und Messen untersagt sind. Eine Entscheidung, die faktisch einem Berufsverbot gleichkam und unter dem Millionen Unternehmer, Angestellte und Künstler seitdem leiden. Nach einer anfänglichen Orientierungsphase präsentierte der Unternehmer zwar im Laufe des Sommers – unter Einhaltung der Auflagen der Corona-Bekämpfungsverordnung – zwei neue Veranstaltungsformate (CARantena Arena und WOpen Air), gemeinsam mit dem Kinowelt Worms Geschäftsführer Patrick Mais. Davon leben, war aber eher nicht möglich. Zwischenzeitlich wurden in Rheinland-Pfalz zwar weitere Lockerungen bekanntgegeben, die kommen allerdings eher dem staatlichen Theaterbetrieb zugute, die im Regelfall bereits ihr technisches Team vor Ort haben. Größere privat organisierte Konzerte, Partys etc. finden sich indes bis zum Sommer 2021 nicht, da auch die neuen Lockerungen ein wirtschaftliches Arbeiten kaum möglich machen. Zu groß ist außerdem die Angst, dass auf einer Veranstaltung ein Infektionsherd entstehen könnte. Ruppel hadert dann auch nicht mit den vergangenen Entscheidungen, sondern vielmehr mit der Perspektivlosigkeit, mit der er und seine Branche zurechtkommen müsse.

Alle schauen auf die Bundesliga

Bereits seit einiger Zeit weist die Kreativ- und Veranstaltungsbranche darauf hin, dass die derzeitige Situation für viele Menschen existenzbedrohend ist. Die Deutsche Orchestervereinigung (DVO) kritisiert dementsprechend, dass viele Maßnahmen nicht nachvollziehbar sind. Der Geschäftsführer Günter Mertens erklärte hierzu: „Es ist unstreitig, dass das Risiko von Neuinfektionen mit dem Corona-Virus so gering wie möglich gehalten werden muss. Andererseits drängt sich vielerorts der Eindruck auf, dass gerade Kulturveranstaltungen bei der Zulassung von Publikum besonders restriktiv behandelt werden, obwohl hierfür objektiv keine Veranlassung besteht.“ Im Visier hat Mertens auch die von Land zu Land unterschiedlichen Regelungen. So dürfen in NRW 1.000 Menschen in geschlossenen Räumen zusammenkommen, während in Rheinland-Pfalz bei Veranstaltungen mit festen Sitzplätzen seit 16. September rund 50 Prozent wieder besetzt werden können. Bei Veranstaltungen im Freien ist die Zahl auf maximal 500 Personen beschränkt. Die Zahl ist aber abhängig von einem individuellen Hygienekonzept. Die Blicke der Veranstaltungsbranche richten sich nun vor allem auf die Bundesliga, denn dort dürfen 20 Prozent der Plätze wieder belegt werden. Christian Ruppel erklärt hierzu: „Wenn das funktioniert, gibt es eigentlich keinen Grund mehr, dass nicht auch größere Konzerte wieder stattfinden können“.

Mit einer Stimme sprechen

Hoffnung schöpft der Unternehmer aber auch aus der Initiative #AlarmstufeRot. War die Branche bisher aufgeteilt in Einzelunternehmer, verschiedene Verbände und Initiativen, hat man mittlerweile eine Stimme gefunden, um auf die bedrohliche Situation aufmerksam zu machen. Rund 250.00 Menschen und 10.000 Unternehmen haben sich mittlerweile dem Bündnis angeschlossen, das erstmals mit der „Night of Light“ auf sich aufmerksam machte. Auch Christian Ruppel engagiert sich bei der #AlarmstufeRot, sodass es für ihn keine Frage war, an der großen Demonstration in Berlin am 9. September teilzunehmen. Mit drei stattlichen LKWs seines Unternehmens Medienpark Vision und elf Kollegen fuhr er dienstagmittags los Richtung Hauptstadt, um sich sowohl am Auto Konvoy als auch an der Kundgebung zu beteiligen. Rund 5.000 Menschen aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen fanden sich an diesem Tag am Brandenburger Tor ein und zeigten, wie man in diesen schwierigen Tagen, unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen, friedlich eine gut organisierte Demonstration durchführen kann. Christian Ruppel erklärt im Gespräch mit WO! zu dieser Demonstration, dass diese sich ausdrücklich nicht gegen die politischen Maßnahmen zum Infektionsschutz richte, sondern vielmehr spreche man sich für sofortige Gespräche und finanzielle Hilfen aus. Um zu unterstreichen, wie ernst die Situation für sein Unternehmen ist, erklärt er uns, dass seine Einnahmen um rund 90 Prozent zurückgegangen sind, während die festen Kosten zum Großteil unverändert sind. Derzeit hat er zwar ein paar kleinere Aufträge, die reichen allerdings nicht zum Überleben oder dafür, ordentliche Löhne zu zahlen. Aus diesem Grund befinden sich seine neun Mitarbeiter auch noch in der Kurzarbeit. Sechs Maßnahmen sollen die Branche retten Angesprochen auf Berlin resümiert er nüchtern: „Ob Berlin was nutzt, weiß ich nicht. Natürlich haben uns die Politiker an diesem Tag keine konkreten Zusagen gegeben“. Ruppel weiter: „Mein Gefühl ist, dass sich nach wie vor der Staat nicht für unsere Branche interessiert und vor allem dafür, wie wir privat überleben sollen.“ Weil man nicht einfach nur demonstrieren möchte, sondern konstruktiv zur Lösung des Problems beitragen möchte, hat die Initiative #AlarmstufeRot sechs Maßnahmen erarbeitet, die der Branche das Überleben sichern soll. So schlägt sie ein Überbrückungsprogramm vor, das sowohl für Einzelunternehmer als auch für mittelständische Unternehmen greifen soll. Ebenso empfehlen sie die Anpassung verschiedener Kreditprogramme, steuerliche Maßnahmen wie die Rückerstattung zu viel gezahlter Steuern, mehr Flexibilisierung bei der Kurzarbeiterregelung, mehr Hilfe durch den EU-Beihilferahmen, da alle bisherigen Programme in Deutschland nicht ausreichen, um die Unternehmen der Veranstaltungswirtschaft und damit Millionen Arbeitsplätze zu retten. Als sechste Maßnahme möchte man einen „Rettungsdialog“ und fordert die Regierung dazu auf, dass, ähnlich wie in der Tourismusbranche, konkret ein Regierungsbeauftragter dafür abgestellt wird, in Verhandlungen gehen zu können.

Nichtstun ist keine Option

Einen Dialog mit der Politik suchte Ruppel gemeinsam mit vier weiteren Unternehmern, u.a. mit Timo Holstein, der in Kirchheimbolanden eine Eventagentur betreibt. Am 10. September traf man sich auf Einladung der Fraktionen der SPD und CDU in Mainz. Konkrete Zusagen gab es natürlich nicht, aber zumindest das Gefühl, dass man mit offenem Ohr zugehört hat, schildert Christian Ruppel den „runden Tisch“. Die Politik sicherte zumindest zu, sich zukünftig regelmäßig zu treffen. Auch wenn weiterhin unklar ist, wohin für Christian Ruppel und sein Unternehmen die Reise geht, kann er rückblickend dem Jahr auch gute Momente abgewinnen und betont zum Abschluss unseres Gesprächs, dass er in den zurückliegenden Monaten sehr viele neue Menschen kennengelernt hat. Zudem wurde er gezwungen, neue Wege zu gehen oder Konzepte zu entwickeln. Nichtstun und warten, ist auf jeden Fall für ihn keine Option. Aktuell arbeitet er zielstrebig auf das Winter Varieté zu, das in diesem Jahr im Dezember zum dritten Mal stattfinden soll. Natürlich ebenfalls unter strikter Einhaltung der Verordnungen. Zudem lässt er durchblicken, dass es möglicherweise in den Adventswochen eine weitere Überraschung geben wird. Mehr möchte er aber derzeit nicht verraten!