Es war Mitte Dezember, als auch in Worms mit den sogenannten Montagsspaziergängern ein neues Phänomen des Protestes Politik und Bürger ratlos machte. Das Ziel der Kritik war klar: Die Corona Politik von Bund und Ländern. Unklar war indes, wer sich hinter den Spaziergängern verbirgt. Dialog gab es wenig, aber dafür viel Kritik. In Worms wagte Bürgermeisterin Stephanie Lohr den Versuch eines Dialogs und WO! vermittelte.

Der Weg zum Dialog

Die Aufregung war bundesweit groß, als sich immer mehr Menschen trafen, um gemeinsam in Form eines Abendspaziergangs durch die Städte Deutschlands zu spazieren. Waren es in Worms zunächst gerade mal 100 bis 200 Menschen, die zusammenfanden, steigerte sich die Zahl im Laufe der Wochen auf rund 900 Teilnehmer/innen. Das Urteil von Medien und zahlreichen Bürgern war schnell gefällt. Die Spazier- gänge werden aus der rechten Ecke orchestriert und sind ein Sammelbecken für Reichsbürger, Corona Leugner und Impfskeptiker. Befeuert wurde dies zusätzlich durch Bilder aus Städten, bei denen es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Spaziergängern kam. Da es sich im Regelfall um unangemeldete Zusammenkünfte handelte, trat auch die Politik auf den Plan. Doch wie mit etwas umgehen, von dem man nicht weiß, wer oder was dahintersteht? Die Rufe nach einem Verbot wurden lauter. In Worms machte sich insbesondere die Sozialde- mokratische Gemeinschaft für ein Verbot stark und kritisierte in einer Pressemitteilung: „Unter dem Deckmantel einer falsch verstandenen Meinungsfreiheit verbreiten Extremisten aus SPD-Sicht Hass, Hetze und Fake-News – und über die „Montagsspaziergänge“ beschleunigt auch das Virus.“

Bürgermeisterin Stephanie Lohr erklärte hingegen, dass sie rechtliche Bedenken hätte, ein Verbot auszusprechen und bat per Pressemitteilung um einen gemeinsamen Dialog. Die Antwort kam in Form eines Offenen Briefs in unser Postfach. Verfasst von einem Wormser, der im Namen verschiedener Teilnehmer/innen darüber schrieb, wer sie sind und was ihre Gedanken sind. Die Veröffentlichung auf unserer Homepage brachte uns viel Kritik ein, aber auch eine Anfrage aus dem Rat- haus. Das Anliegen: Ein Gespräch zwischen den Verfassern des Briefs und der Politik, namentlich Stephanie Lohr, dem Bundestagsabgeordneten Jan Metzler und Walter Wagner (Verbandsbürgermeister Wonnegau), zu vereinbaren. Nach einigen Telefonaten und Mails standen schließlich Termin, Form und Regeln. Im Rahmen einer Videokonferenz trafen sich schließlich Anfang März beide Seiten, moderiert von unserem Redakteur Dennis Dirigo. Die Teilnahme war aufgrund einer gewünschten Anonymität von Seiten der Spaziergänger auf die drei genannten Politiker, sieben Bürger/innen sowie den Redakteur beschränkt. Wir garantierten zudem, nichts zu veröffentlichen, was in einen persönlichen Kontext gesetzt wer- den kann. Das Misstrauen begründeten die Teilnehmenden wiederum mit der grundsätzlich aufgeheizten Stimmung rund um die Corona Kritik und damit verbundenen Anfeindungen oder beruflichen Folgen.

DAS GESPRÄCH

Zielsetzung des Gesprächs war es, miteinander statt übereinander zu reden und zu erfahren, wer montags regelmäßig in Worms auf die Straßen geht. Die sieben Teilnehmer des Gesprächs stehen sicherlich nicht für alle Menschen, die einmal in der Woche ihren stillen Protest ausdrücken. Dennoch stehen diese für einen nicht unerheblichen Teil der Spaziergänger, einer heterogenen Gruppe, die man auch als bunten Querschnitt der Gesellschaft sehen könnte (siehe auch WO! FEB/22). Im Mittelpunkt der Kritik steht bei den Montagsspaziergängern insbesondere die Impfpflicht, die zwischenzeitlich zumindest berufsbezogen bundesweit gilt. Auch wenn klar war, dass in diesem Gespräch nicht die Bundespolitik verändert werden kann, war es der Gruppe zu- nächst wichtig, in einer gut nachvollziehbaren Präsentation ihre Kritik an der geplanten Impfpflicht darzulegen. Dabei ging es insbesondere um unerwünschte Nebenwirkungen der Impfungen und im Anschluss um den politischen Umgang. Jan Metzler warb wiederum für Verständnis. Die Politik müsse Entscheidungen treffen, bei der fachliche, sowie ethische Meinungsvielfalt nicht immer zur Zufriedenheit aller sein kann. Lohr räumte ein, dass die Kritik am politischen Umgang mit der Pandemie durchaus ihre Berechtigung hat, auch wenn sie nicht alle Punkte teilen könne. Sie kritisierte aber, dass die Botschaft des Protests bei vielen Bürger/innen nicht ankäme. Einer Anmeldung erteilte wiederum die Gruppe eine Absage und verwies auf den spontanen Charakter der Veranstaltungen. Klar war ihnen aber auch, dass ihr Anliegen buchstäblich ins Leere läuft. Tatsächlich ist das zwischenzeitlich auch an der Teilnehmerzahl festzustellen. So nahmen zuletzt deutlich weniger Menschen teil. Eine Gefahr der rechten Unterwanderung sieht die Gruppe nicht und betonte, dass die Leute für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung auf die Straße gingen. Ein Konsens des Abends bestand in der Feststellung, dass das Vertrauen der Menschen in die Politik zunehmend erodiert. Eine Lösung für mehr Demokratie sahen alle in einer Art Bürgerforum unter dem Motto „Mehr Demokratie durch Mitsprache der Bürger!“ Wie konkret dies in Worms aussehen könnte, ließ sich im Rahmen der Videokonferenz nicht mehr klären.

Klar ist aber mittlerweile, dass zumindest das öffentliche Interesse des Oberbürgermeisters Adolf Kessel an den Spaziergängern zwischenzeitlich anderen Prioritäten gewichen ist. So erklärte er im Stadtrat vom 22. März: „Die Ukraine relativiert Corona als alles beherrschendes Thema, so auch im Hinblick auf Maßnahmen. Die geplante Resolution in Bezug auf die Spaziergänger wird nicht mehr als sinnvoll erachtet“. Zudem berichtete Kessel, dass Frau Lohr ein Gespräch führte und über die Inhalte anschließend in einem Telefonat Angelika Wahl informiert hatte. Wahl, 1. Vorsitzende Helferkreis Asyl, wünschte in einer Mail an unsere Redaktion ebenfalls eine Gesprächsrunde zwischen Spaziergängern und anderen bürgerlichen Gruppen. Vielleicht ist das angesprochene Bürgerforum der mögliche Weg zu dieser Form des Dialogs.

Text: Dennis Dirigo