Es war das wohl meist erwartete Buch in diesem Jahr. Schnell wurde der Roman zum deutschen Schlüssel- roman der #metoo Bewegung ernannt. Und ebenso schnell erklomm das autobiografisch gefärbte Buch, das jedoch durchweg fiktiv sein möchte, die Spiegel- Bestsellerliste. Mehrere Monate später ist die große Aufregung verflogen. Was bleibt, ist ein gutes Buch, das einen interessanten Einblick in die Redaktionsetagen eines TV-Senders gewährt,…
…der deutlich an BILD angelehnt ist, das allerdings unter dem Ich-Erzähler leidet. Dieser ist natürlich Autor und so was wie das Künstlermaskottchen des Senderchefs, der unschwer als Matthias Döpfner zu erkennen ist, aber hier nur Freund heißt. Eine weitere Parallele zur Bild-Zeitung ist der Chefredakteur, der deutlich an Julian Reichelt angelehnt ist. Wie im echten Leben hat auch der fiktive Reichelt den Hang dazu, der Devise „Fördern, Vögeln, Feuern“ zu folgen. Dabei gelingt es von Stuckrad-Barre gut, das komplizierte Abhängigkeitsverhältnis zumeist junger Mitarbeiterinnen zu reflektieren. Ausgerechnet wenn diese Frauen beginnen, sich zu solidarisieren, zeigt sich eine zunehmend ironisierende Erzählweise, die auf der anderen Seite wieder eine moralische Über- höhung des Ich-Erzählers erfährt. Das konterkariert zuweilen den reflexiven Ansatz. „… und ich mag dieses Gefühl überhaupt nicht. Moralisch im Recht zu sein oder auch nur sich zu wähnen, macht so dumm, das ist immer das Problem“, erklärt an einer Stelle der Ich-Erzähler. Aber genau das tut er. Die Position der moralischen Unanfechtbarkeit, die er fraglos zu Recht ein- nimmt, verhindert allerdings jeden Erkenntnisgewinn. Am Ende ist man so klug und grundempört, wie man es bereits zu Beginn war. Den Boulevardjournalismus und seine Protagonisten blöd zu finden, das dürfte ohnehin eine Meinung sein, die bereits die meisten haben, die „Noch wach?“ lesen. Und gerade weil es in diesem Buch keinerlei Brüche gibt, verpufft leider diese eigentlich wichtige Geschichte.