Wolfgang Niedecken liest und singt Bob Dylan

20. August 2021 | Gut Leben am Morstein in Westhofen:

Normalerweise wäre er in diesem Sommer mit seiner Band BAP auf großer Open Air Tour gewesen, jedoch machte Corona auch der Kölner Combo einen Strich durch die Rechnung. Aber Corona hatte auch seine guten Seiten, bot doch die frei gewordene Zeit Wolfgang Niedecken die Möglichkeit, an einem Projekt zu arbeiten, das er schon länger geplant, aber eben aus Zeitgründen nie umgesetzt hatte.

Niedecken liest und singt Bob Dylan – unterstützt von Mike Herting am Piano – stand an diesem Abend auf dem Programm. Mitgebracht hatte der „Dylan aus der Südstadt“, wie Niedecken in jungen Jahren genannt wurde, jede Menge Geschichten rund um den mittlerweile 80-jährigen Ausnahmekünstler und Literatur-Nobelpreisträger, zusammengetragen aus Niedeckens Autobiografie und anderen Veröffentlichungen zum Thema Dylan. Wie er sein Idol zum ersten Mal traf, um eine in Hannover eigens für ihn angefertigte Gitarre zu überreichen. Wie er auf dessen Spuren in den USA wandelte und hierbei die komplette Crew beklaut wurde oder wie er sich bei „Rock im Park“ mit seinem VIP-Pass hinters Mischpult schmuggelte, um dem Meister aus zehn Metern Entfernung lauschen zu können. Dazu gab es jede Menge Musik, entweder im Original oder in einer eingekölschten Version, und auch der eine oder andere BAP-Song hatte es in die Setlist geschafft. Der Star des Abends war aber zunächst Niedeckens Hund, der nicht von seiner Seite wich und unter dessen Tisch ausharrte, weil dies auch Zuhause sein Lieblingsplatz sei. Einziges Problem: Der Hund mag kein Klatschen, weshalb selbiges jedes Mal Hundegebell auslöste, ehe Niedeckens Frau Tina einschritt und den Hund in die Garderobe brachte – vom Publikum mit einem langgezogenen „Oooooooh“ quittiert. Ebenso unbeschwert und locker wie Niedecken auf der Bühne plauderte, ging es auch musikalisch los mit „You ain’t going nowhere“, wobei sich der Ur-Kölner sogar zu einer bayrischen Strophe hinreißen ließ, schließlich hatte er den Song erst kürzlich zum 31. Bühnenjubiläum von Hannes Ringlstetter live in München performt. Der Song, der für Wolfgang Niedecken eine Art Initialzündung darstellte, war jedoch „Like a rolling stone“, der ihm völlig neue lyrische Möglichkeiten eröffnet habe. Wie Niedecken an diesem Abend freimütig bekannte, war er mit seiner kölschen Version „Wie ne Stein“ nie so recht zufrieden, aber da das Lied bereits 1982 als Lückenfüller noch auf das Album „Von drinne noh drusse“ gerutscht war, habe er sich nie getraut, etwas an den Lyrics zu verändern, um die Fans nicht zu verwirren. Auch „Viel passiert sickher“ („My back pages“) hatte Niedecken bereits 1995 mit der Leopardefellband auf Platte gebannt und war zentraler Bestandteil des BAP-Films „Viel passiert“ von Wim Wenders aus dem Jahr 2002. So mancher Song dürfte langjährigen Fans also bereits bekannt gewesen sein, ebenso wie „Leev Frau Hermanns“, der im letzten Jahr auf dem BAP-Album „Alles fließt“ erschienen war. Das bis vor kurzem verschollene Lied hat Niedecken während seiner Zivildienstzeit in der Altenpflege als Geburtstagssong für eine 93-jährige alte Dame geschrieben, die ihr Leben lang eine Kirmesbude betrieben hatte. Obwohl unter Fans jahrzehntelang „Helfe kann dir keiner“ als erstes offizielles kölsches Lied von Niedecken galt, entstand „Leev Frau Hermanns“ bereits ein Jahr vorher – nämlich 1976. Auch an diesem Abend berührte die Hommage an eine lebenslustige Frau, deren Lieblingssatz im Altersheim gewesen sei: „Ich weiß gar nicht, was ich hier soll –bei den ganzen alten Leuten…“ Auch eine der schönsten Nummern des Abends dürfte für BAP Fans nicht unbekannt gewesen sein, war doch die deutsche Version von „Girl From The North Country“ – „Wo dä Nordwind weht“ – auf dem aktuellen Album der Kölner vertreten. Zum Abschluss eines kurzweiligen Abends gab es dann noch einen echten BAP Song, nämlich „Songs sinn Dräume“, der aus einem Zitat Dylans entstand und für einen wunderbaren Abschluss sorgte. Da sich das Publikum nach gut zweieinhalb Stunden noch eine Zugabe herbeiklatschte, kam zum Abschluss einer der bekanntesten Dylan-Songs, „Knockin on a heavens door“, zum Einsatz. Auch dazu hatte Niedecken seine ganz eigene Geschichte parat, als er 1998 bei „Rock am Ring“ im VIP-Bereich den Auftritt von Dylan auf der Hauptbühne verfolgte und sein Nachbar gesagt habe: „Krass, der Alte da unten covert eine Nummer von Guns’n‘ Roses.“

Fazit: Mehr als zweieinhalb Stunden, die wie im Flug vergingen, plauderte (und musizierte) ein bestens aufgelegter Wolfgang Niedecken über sein Idol Bob Dylan und sorgte bei traumhafter Atmosphäre für den Höhepunkt des diesjährigen Morstein-Festivals in Westhofen.