23. September bis 25. September 2016
Worms Innenstadt:
Für Worms war es ein ungewöhnliches Bild. Eine seltsam bunt gemischte Gruppe marschierte quer durch die Stadt. Drei Musiker folgend, die mit Sousaphon, Trommel und Posaune die Vorhut bildeten, führte der Weg zu 22 Orten in Worms, an denen Wormser Künstler ihre Werke für eine Woche ausstellten. Anlass war die zweite Auflage des Pop Up Festivals.
Im letzten Jahr legte der Musiker und künstlerische Leiter von Jazz und Joy, David Maier, den Grundstein für das jüngste Wormser Kulturevent. Bunt wie die Vielfalt einer Stadt sollte es sein, unterhalten, dabei auch noch kritisch sein und im besten Falle Menschen miteinander verbinden. Rund 2.000 Besucher fanden nach offizieller Aussage den Weg zu den vielfältigen Veranstaltungen. Eigentlich wollte man in diesem Jahr alles ein wenig kleiner angehen. Doch daraus wurde nichts. 25 Veranstaltungen hatte das Team auf die Beine gestellt. Konzerte, Vernissagen, Puppenspieltheater, Workshops oder auch eine Quizrunde waren im Portfolio der zweiten Auflage. Angetreten war das Festival, um sich mit der Frage, in welcher Stadt wir leben wollen, zu beschäftigen. Hierzu brachte Maier ein handgefertigtes Buch an den Start, in das auf seiner Reise durch Worms viele Bürger ihre Vorstellung eintragen sollten. Ein Unterfangen, das – wie Maier selbstironisch feststellte – wohl einer Lebensaufgabe gleichkommt. Denn von den 800 Seiten sind noch einige frei. Das ändert jedoch nichts an der gelungenen Idee des Festivals, Kunst (und andere schöne Dinge) in die Stadt zu tragen. Bestes Beispiel war hierfür die oben genannte Ausstellung, die 22 regionalen Künstlern die Möglichkeit bot, dem Motto „Kunst findet Stadt“ Leben einzuhauchen. Wer am letzten Septembersamstag den Weg in die Stadt fand, wurde gleich mit einer ganzen Reihe von Aktionen überrascht. Los ging es in der Wilhelm Leuschner Straße, jenem ungeliebten Teil der Fußgängerzone, der ab Höhe AfA Passage eher einem bunten „Krempelmarkt“ glich. Neben handgefertigtem Schmuck gab es dort ökologisch einwandfreien Traubensaft genauso wie Kreatives aus der „Streetsprayer“ Szene oder vegane Leckereien von Frollein Elfriede. Ganz im Zeichen spektakulärer Artistik stand der Obermarkt. Dort vollführte das Team Airtime halsbrecherische Stunts mit BMX Rädern, was den Zuschauer mehrfach den Atem stocken ließ. Weniger Spektakel, dafür mehr Wohlklang gab es bei den drei Schaufensterkonzerten. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, als der junge Musiker Mathias Kazulas in der Auslage des Reisebüros Blum saß und von „Fernweh“ sang. Mit deutlich dunklerem Timbre und mit großer Gedankenschwere verlieh der Musiker Niclas De-Winter dem Bergsetting im Schaufenster der Galeria Kaufhof eine eigenwillig schwere Symbolik, die gar nicht so recht zu dem tiefblauen Himmel passen wollte. Weil zwei zu viel für ein kleines Schaufenster sind, spielte das Karlsruher Duo How I left einfach davor und begeisterte mit einem kräftigen Folksound, der an das gefühlvolle Songwriting des jungen Billy Joel erinnerte, was sicher nicht der schlechteste Vergleich ist. Fernab von Schaufenstern wurde im Gewölbekeller des ehemaligen Schwarzen Bär/80s Club ein düsteres Musikgebräu angerührt. Zugleich war es ein Konzert, wie es zuletzt eher selten in Worms zu hören war. Als hätte sich Nick Cave in den Proberaum von Massive Attack verirrt, um gemeinsam ein paar psychotrope Substanzen einzunehmen, fräste sich das südafrikanische Duo Medicine Boy durch sein durchgängig düsteres Songbook. Zuweilen wurde dieses durchbrochen von treibenden Beats und rückgekoppelten Gitarren, wie sie einst die Briten von Jesus and the Mary Chain salonfähig machten. Musik fernab der üblichen Jazz & Joy Auswahl präsentierten David Maier und sein Team auch mit dem zweiten Act Sea Moya. Deutlich temporeicher und gefälliger als die Südafrikaner, sorgte die Mannheimer Band mit ihrem elektronisch dominierten Pop für angenehme Kurzweil. Nebenbei erinnerte die Veranstaltung daran, was für eine tolle Örtlichkeit dieser Gewölbekeller ist und zugleich, was für eine Schande dieser Leerstand darstellt.
Ganz dem Tanz verpflichtet, lud der Festivalsonntag am Sackgassenende in der Zornstraße, vom Pop Up Team kurzerhand „Brunhildeneck“ getauft, zu einer „Tanzsoiree“. Tanzlehrerin Christiane Ziemer sorgte mit ihren jungen und sehr jungen Tänzerinnen für den choreografischen Zusammenhalt. Allerdings war es für die zahlreich erschienenen Zuschauer nicht unbedingt immer ein Leichtes, den in den Schaufenstern der Puderdose und des Buchhandel Aqaurius aufgeführten Performances stets im richtigen Moment zu folgen. Später wurden die Tänze nochmals auf offener Straße aufgeführt, was zugleich zu einer der schönsten Szenen des ersten Pop Up Wochenendes führte. Als eine Stepptanzgruppe auf dem gegenüberliegenden Gehweg der Friedrich Ebert Straße ihre Choreografie aufführte, kam kurzeitig der Autoverkehr zum Erliegen. Statt zu hupen oder sich zu beschweren, übten sich die PKW Fahrer aus Köln und Darmstadt in Geduld und schauten irritiert und interessiert dem Straßentreiben zu. Kunst verbindet eben. Zwischen den Tänzen sorgte der in Worms bekannte Sänger Gary Mazzaroppi für musikalische Unterhaltung, ehe ein entspannter Nachmittag endete.
FAZIT: Das erste Pop Up Wochenende unterhielt mit einem abwechslungsreichen Programm. Das Ziel, Worms zu einem lebendigen Städtchen zu machen, war auf jeden Fall erreicht. Die schweren Fragen, in welcher Stadt wir zukünftig leben wollen, welche Visionen wir haben, sollten erst danach folgen. Dazu mehr in unserer November Ausgabe.