Es war kurz nach 18 Uhr am Wahltag, als durch Deutschland ein politisches Beben ging. Die rechtspopulistisch orientierte Partei AfD wurde drittstärkste Kraft im Bundestag. Der Gau im Land war eingetreten. Dabei war diese Entwicklung keine Überraschung mehr. Die Prognosen der letzten Wochen zeigten bereits in diese Richtung und die Stimmung im Land war längst nicht so gut, wie es viele Politiker bis zur Bundestagswahl wahrgenommen hatten.
Man könnte reflexhaft rufen, dass es immerhin noch 87% Wähler gibt, die nicht den Lockrufen von Alexander Gauland, Alice Weidel & Co. gefolgt sind. Nichts wäre so einfach, wie zu sagen, dass es sich nur um eine Minderheit handelt, die einer Laune verfielen. Vielleicht sind es beim nächsten Mal noch mehr Leute, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen? Gegründet als Euro-kritische Partei verfehlte die AfD bei der Bundestagswahl 2013 noch knapp den Einzug in selbigen. Der breite Teil der Bevölkerung interessierte sich eher weniger für die Finanzsorgen dieser Partei. Populär wurde diese erst durch die 2015 eingetretene Zuwanderungssituation. War anfänglich die euphorische Willkommenskultur vieler Bundesbürger für die Kanzlerin ein Geschenk des Himmels, entpuppte diese sich bald als politische Büchse der Pandora. Die Stimmung kippte im Volk. Sorgen und Ängste erfassten einen Teil des Landes. Doch die stießen auf eine Wand aus Bürgern und Politikern, die grenzenlose Hilfe für richtig hielten, ohne die Folgen zu berücksichtigen. Es entwickelte sich zunehmend eine Kultur des Gegeneinanders. Nicht selten wurden politische Meinungen aus dem linken Kontext sofort in die linksextreme Ecke geschubst, während im politisch korrekten Deutschland die Angst vor der Überforderung schnell mit Fremdenhass gleichgesetzt wurde. Eine ausgewogene Diskussion findet unter Kanzlerin Merkel bis heute nicht statt.
Heiter weiter wie bisher?
Einen Tag nach der Bundestagswahl erklärte Merkel, dass sie im Wahlkampf nichts falsch gemacht hätte, und dass sie von dem schlechtesten Ergebnis seit 1949 gar nicht enttäuscht sei. Ist das die Lehre, die sie aus dem 24. September gezogen hat? „Business as usual“, das war schon immer das Motto der Kanzlerin. Nur nicht aufregen. Wer trägt dann aber die Verantwortung für das schlechte Abschneiden und vielleicht kann man aus dieser Entwicklung etwas lernen? Wie kann man Wähler zurückgewinnen, die sich von ihrer Stammpartei nicht mehr vertreten fühlen? Die politische Identifikation mit den beiden bürgerlichen Parteien fällt in diesen Tagen schwer. Während die CDU für viele konservative Stammwähler zwischenzeitlich zu weit nach links gewandert ist, hat sich die SPD in die entgegensetzte Richtung bewegt und damit ihre Wurzeln zur Arbeiterklientel gekappt. Martin Schulz hatte durchaus Recht, als er die „Zeit für Gerechtigkeit“ ausrief, doch was er anbot, war lediglich „ein bisschen Gerechtigkeit“ und vor allem noch weniger Perspektiven. Er war einfach der falsche Mann zur richtigen Zeit. Ein Umstand, auf den wir bereits nach seinem Besuch in Worms aufmerksam machten. Abgesehen davon war längst die Flüchtlingspolitik mitsamt ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft das zentrale Thema. Ein Thema, das mit Emotionen aufgeladen war und dem man mit Fakten kaum begegnen konnte. Gleichzeitig war es ein Thema, das für viele Menschen nur von der AfD glaubhaft vertreten wurde.
Die Schwäche der Großen, die Stärke der AfD
Plötzlich war die Anti-Europartei die Partei des kleinen Mannes. Das war umso erstaunlicher, da sie im Grunde genau für diesen keine wählbare Alternative darstellen sollte. Wer will schon eine Partei wählen, bei der man bis 72 arbeiten darf, Vermögende steuerlich bevorzugt und Alleinerziehende und Arbeitslose schlechter gestellt werden? Schließlich ist jeder alleine für sich selbst verantwortlich. Der AfD gelang das Kunststück, ihr extrem wirtschaftsliberales Programm nahezu unsichtbar zu machen. Die Nazi-Keule, die mancher Politiker auspackte, konnte ebenso wenig ausrichten. Eher förderten die Beschimpfungen den Opfer-Mythos dieser Partei und das Denken im Volk, denen da oben mal richtig was auf die Mütze zu geben. Dabei ist die Partei eher damit beschäftigt, sich gegenseitig zu zerfleischen. Auch dort tummeln sich machtversessene Menschen, die aus purer Eitelkeit und nicht im Sinne des Volkes handeln. Man denke nur an AfD-Gründer Bernd Lucke, der von Frauke Petry ausgebootet wurde. Die wurde wiederum auf dem großen Parteitag demontiert und revanchierte sich dafür am Tag nach der Wahl. Das Besondere an diesem Umstand ist, dass selten zuvor ein vom Volk gewählter Kandidat so unverhohlen dieses Mandat wieder zurückgeschleudert hat. Frau Petry hat offenbar nicht verstanden, dass ein Mandat keine Bitte, sondern ein Auftrag ist. Dieses für seine eigene Rache zu missbrauchen, ist schlicht ein Verrat an der Demokratie. Man darf gespannt sein, welche Ellenbogenspiele sich die Akademiker und Hochschulabsolventen, die zukünftig als Vertreter des kleinen Mannes im Bundestag sitzen, noch einfallen lassen. Doch alles Lamentieren hilft nichts. Die Situation ist erstmal wie sie ist. Viel wichtiger ist es nun, den Menschen, die solche Leute gewählt haben, zuzuhören und daraus zu lernen. Die wenigsten, die am 24. zur Wahl gegangen und ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben, dürften lupenreine Rassisten sein, vielmehr wollen sie ernst genommen werden. Es ist auch keine „Staatskrise“ ausgebrochen, wie es der SPD-Bundestagsabgeordnete Marcus Held in seiner Rede mehrfach genannt hat. Vielleicht setzt er sein eigenes schlechtes Abschneiden mit einer Staatskrise gleich. Das dürfte jedoch eher in die Rubrik „persönliches Drama“ fallen. Genauso wenig hilfreich ist es, wenn bei Facebook Menschen dazu aufrufen, dass andere sich aus der jeweiligen Freundesliste löschen sollen, sollten sie die AfD gewählt haben. All das fördert die Kluft , die letztlich zu amerikanischen Verhältnisse führen kann.
Zugewinne für die Kleinen
Doch es gibt auch Positives von der Wahl zu vermelden. Nicht alle, die in der CDU/CSU und der SPD keine Option mehr sehen, sind in die Arme von Rechtspopulisten gerannt. Die Grünen profitierten, genauso wie die Linken, von diesem Verdruss und die FDP tauchte wie Phönix aus der Asche auf. Während sich die Linken als einzige Partei ernsthaft mit der immer größer werdenden sozialen Kluft auseinandersetzten und dafür mit mehr Stimmen belohnt wurden, schaffte die FDP mit der Konzentration auf ihr derzeitiges Mastermind Christian Lindner ein Comeback. Es wird sich zeigen, ob die FDP in einer Regierungsverantwortung oder in der Opposition den hohen Erwartungen gerecht wird. Wirkliche Lösungen hatten die Liberalen während des Wahlkampfes auch nicht im Angebot. Eine höhere Wahlbeteiligung als vor vier Jahren zeigt auch, dass eine Mehrheit der Wahlberechtigten noch nicht vollends politikverdrossen ist. Das Wichtigste, was die Parteien lernen können, ist es, den Menschen wieder zuzuhören, den Dialog zu fördern und die gefühlten Ungerechtigkeiten ernst zu nehmen. Horst Seehofer hat das mit Blick auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr erkannt und schaltete bereits kurz nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei in den Wahlkampfmodus. Breitbeinig erklärte er, dass mit einer CSU in der Regierung nur gerechnet werden könne, wenn eine Obergrenze kommt oder wie er sagt; „Wir wollen die rechte Mitte absichern!“ (gesagt in einem Interview Phoenix-TV). Es darf bezweifelt werden, ob dieser Rechtsschlenker die richtige Antwort ist. Die Lösung des Problems ist wohl etwas komplizierter und bedarf wahrscheinlich mehr Anstrengungen, als nur die rechte Flanke abzudecken.