Wenn man sich auf den Straßen von Worms unterhält ist oder in den Kommentarspalten von Facebook stöbert, begegnet einem immer wieder die Aussage: „In Worms wird es immer schlimmer!“ Ist das so? Wir begaben uns auf Spurensuche und sprachen mit einem, der es wissen muss: Danilo Lange, Leiter der Kriminalinspektion Worms.

WIE KRIMINELL IST WORMS?

Lange erklärt gleich zu Beginn als Reaktion auf dieses Zitat, dass er keinerlei Bedenken hätte, nachts durch den oft gescholtenen Albert-Schulte-Park zu gehen. Er könne aber verstehen, dass es ein Unsicherheitsempfinden gebe. Die Polizei ist allerdings nicht für Empfinden zuständig, sondern für harte Fakten und so erklärt Lange, dass man natürlich nur über Kriminalität sprechen könne, die polizeilich erfasst ist („Wir spiegeln wider, was wir belegen können und nicht das subjektive Sicherheitsgefühl“) und hier spreche die Statistik eine klare Sprache, nämlich, dass Worms im Verhältnis zu den benachbarten Städten eine deutliche niedrigere Kriminalitätsquote aufweise. Gemessen wird dieser Vergleich mit einer sogenannten Häufigkeitszahl, hierin wird die Zahl der Straftaten pro 100.000 Einwohner ermittelt. Diese Zahl liegt in Worms bei 7.891, während diese in der Landeshauptstadt Mainz bei 8.632 liegt. Spitzenreiter in diesem Vergleich ist die Stadt Ingelheim, bei der diese Kennzahl bei 11.807 liegt. Auch die jährlich veröffentlichte Kriminalitätsstatistik kann nicht belegen, dass es in Worms immer schlimmer wird. Die Zahlen 2018 (6555 registrierte Straftaten) sind nahezu identisch mit dem Vorjahr und bereits zu diesem Zeitpunkt zeigte sich ein Trend zu sinkenden Fallzahlen. Aber warum verfängt sich das nicht bei den Bürgern?

STEIGENDE ZAHLEN BEI DROGENDELIKTEN

Danilo Lange, der seit einem Jahr in Worms mit der Leitung der Kriminalinspektion betraut ist, hat eine Erklärung. „Die Menschen nehmen natürlich vor allem jene Kriminalität wahr, die öffentlich geschieht, also die Straßenkriminalität, und übertragen diese auf die Gesamtsituation.“ In Zahlen ausgedrückt liegt der Anteil der Straßenkriminalität bei 20 Prozent. Eine Zahl, die im ersten Moment hoch scheint, aber auch hier zeigt sich, dass andere Städte deutlich andere Quoten präsentieren. Nicht zu unterschätzen ist in der Diskussion die Situation rund um den Bahnhof. Hier räumt der ehemalige stellvertretende Leiter der Kriminaldirektion Mainz ein, dass dort ein Kriminalitätsschwerpunkt sei. Genau gesagt befindet sich dieser zwischen der Güterhallenstraße bis hin zum Lutherplatz. Schwerpunkt sind Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz, was sich in erster Linie auf Drogenhandel bezieht. Seit einiger Zeit steigen im Bereich Rauschgiftkriminalität die Zahlen, was aber nicht bedeute, dass die Drogenszene in Worms signifikant wächst. Zuletzt befeuerte eine Schlagzeile in der Wormser Zeitung die jahrzehntealte Diskussion um die Wormser Drogenszene. Dort hieß es, „Experten vergleichen Wormser Drogenszene mit der in Frankfurt“. Wir fragen nach! Um eine Relation zu anderen Städten zu bekommen, verweist Lange auch hierbei auf die Häufigkeitszahl. So liegt Frankfurt bei 127,55, während der Wert in Worms deutlich darunter liegt (62,4). Warum die Zahlen aber steigend sind, auch dafür hat Lange eine Erklärung: „Wir kontrollieren in den vergangenen Jahren die öffentlichen Räume rund um den Bahnhof deutlich stärker, dadurch haben wir natürlich auch mehr Drogenfunde.“ Auch sei die Polizei mittlerweile deutlich besser im Erkennen von Drogenmissbrauch im Straßenverkehr geschult, denn diese Fälle fließen ebenso in die polizeiliche Kriminalstatistik Rauschgiftdelikte mit ein.

EIN NEUER STOFF BEREITET SORGEN

Sorgen bereitet der Polizei indes die zunehmende Verbreitung sogenannter NPS (Neue Psychoaktive Substanzen), die der Öffentlichkeit vor allem unter dem Begriff „Legal Highs“ bekannt sein dürften. Diesen Begriff vermeide man bei der Polizei, erläutert Lange, da er suggeriere, dass die kleinen bunten Päckchen mit Kräutermischungen oder Pulvern als Inhalt tatsächlich legal seien. Das ist aber nicht so. Lange führt aus, dass es sich natürlich nicht um echte Kräutermischungen handele. Die Kräuter sowie das Pulver in den Päckchen sind an sich harmlos, erst wenn sie mit einem synthetischen Stoff besprüht sind, entfalten sie ihre rauscherzeugende Wirkung. Erhältlich sind sie als Amphetaminvariante oder synthetisches Cannabis über das Internet, aber auch über Dealer im Bahnhofsumfeld. Das Problem dieser Drogen ist, dass niemand weiß, wie stark die Dosierung ist. Dementsprechend kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Zusammenbrüchen von Konsumenten in der Öffentlichkeit. Im letzten Jahr gab es in Worms sogar einen Todesfall nach dem Konsum eines dieser Stoffe. Labore, die den Stoff herstellen, gibt es in Worms allerdings nicht, weiß Lange und fügt hinzu, dass man auch mit dem Zoll zusammenarbeite, um das Problem in den Griff zu bekommen. Zumeist kommen diese Stoffe aus dem osteuropäischen Ausland.

KEIN VERGLEICH MIT FRANKFURT

Grundsätzlich hätte man die Drogenszene im Griff, soll heißen, dass man seine „Kundschaft“ kenne. Lange schätzt derzeit die Personengruppe auf rund 300. Hinzu kommen drogenkranke Patienten, die einen der beiden Ärzte in der Nähe des Bahnhofs aufsuchen, die eine suchtmedizinische Grundversorgung anbieten. Die seien aber nicht im Blickfeld der Polizei, da sie selten Straftaten begehen, dafür geraten sie jedoch immer wieder in das Blickfeld von Besuchern der Fußgängerzone. Lange betont, dass zwar die optische Auffälligkeit gegeben sei, aber für die Bevölkerung keine Gefahr bestünde. Dass die Suchtberatungsstelle in Worms dennoch die Szene mit der von Frankfurt vergleicht, erklärt Lange damit, dass man natürlich auch Patienten betreue, die polizeilich nicht auffällig seien. Wie viel das sind, vermag er natürlich nicht zu sagen. Kommt es zu gewalttätigen Übergriffen, seien es in der Regel Tätlichkeiten „untereinander“, wie im vergangenen Jahr, als zwei Männer am Lutherplatz ob eines Drogengeschäfts in Streit gerieten und einer den anderen niederstach und lebensbedrohlich verletzte.

WIE ENTSTEHT DER POLIZEIBERICHT?

Eine ähnliche Situation erlebten Mitte Juni einige Passanten hautnah am Eingang der Wilhelm-Leuschner-Straße. Ein Streit unter drei Männern endete mit einem Messerstich. Zwei der Täter flohen, zurück blieb das Opfer. Im Internet gaben Zeugen anschließend Warnungen raus, dass ein oder zwei Männer bewaffnet und gefährlich auf der Flucht seien. Eine Polizeimeldung erfolgte indes nicht. Wir wollen von Lange wissen, wie die Polizei darüber entscheidet, welche Vorkommnisse im Polizeibericht veröffentlicht werden und welche nicht. Im Mittelpunkt der Veröffentlichungspolitik stehe die Suche nach Zeugen. In diesem konkreten Fall sei das nicht notwendig gewesen, da es ja bereits Zeugen gab. Ein weiteres Kriterium sei natürlich die Gefahr für die Öffentlichkeit und die sei hier nicht gegeben gewesen. Wir haken nach und fragen, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, eine solche Tat zu veröffentlichen, um privaten Warnaufrufen mit Panikpotential vorzubeugen? Lange räumt ein, dass das grundsätzlich ein Aspekt ist, aber es vielleicht auch eine ermittlungstaktische Entscheidung war, nicht darüber zu berichten und ergänzt: „Wir verfolgen soziale Medien und versuchen auch gegenzusteuern, wenn wir feststellen, dass dies notwendig ist.“ Die Polizei sei sich durchaus bewusst, dass besonders bei Facebook immer wieder Falschdarstellungen oder erfundene Straftaten kursieren. Grundsätzlich sei man natürlich auf aufmerksame Bürger angewiesen, weswegen man immer wieder aktiv nach Zeugen suche.

LIEBER EINMAL ZU VIEL ANRUFEN ALS ZU WENIG

Einen eindrucksvollen Fahndungserfolg durch die Unterstützung von Zeugen konnte man im vergangenen Sommer nach einem Überfall auf eine Passantin im WEP verbuchen. Das anschließend veröffentlichte Foto führte schon nach kurzer Zeit dazu, dass der Täter festgenommen werden konnte. Zeugen und aufmerksame Nachbarn hält Lange auch für einen wichtigen Bestandteil bei der Vereitelung oder Aufklärung von Wohnungseinbrüchen. Auch hier steigt die Fallzahl in Worms. Lange ergänzt sogar, dass, entgegen des rheinland-pfälzischen Trends, die Zahl im Raum Mainz-Worms steige. Der Schwerpunkt liegt hier im Stadtgebiet. Gestiegen ist jedoch auch die Zahl der Aufklärungen. Im letzten Jahr stieg die Zahl der Wohnungseinbrüche um 21 auf 99 Einbrüche. 14,1 Prozent der Fälle konnten aufgeklärt werden. Ein Erschwernis sei hierbei, dass die Täter meistens nicht aus Worms kommen und durch die naheliegenden Schnellstraßen und die Autobahn schnell entkommen können. „Der beste Schutz ist eine gut funktionierende Nachbarschaft“, sagt Lange und betont, dass es besser sei, einmal zu viel anzurufen als zu wenig. Bei dieser Gelegenheit verweist der Kommissar auf die Möglichkeit, mittlerweile auch im Internet Strafanzeige stellen zu können. Zum Schluss wollen wir noch wissen, ob die Polizei darüber Kenntnis hat, dass es in bestimmten Straßen, wie der Alzeyer Straße oder der Siegfriedstraße, nachts zu Autorennen käme. Grundsätzlich hätte man hierzu keine Erkenntnis. Man kenne die Beschwerden der Anwohner und würde immer wieder nachts die besagten Strecken in Augenschein nehmen, bisher allerdings ohne Erfolg. Außerdem verweist er darauf, dass dies in den Tätigkeitsbereich der Ordnungsbehörde falle. Viel diskutiert wurde in der Vergangenheit über die sogenannte „Autoposer“ Szene. Auch hier gibt er Entwarnung. Natürlich gebe es einzelne junge Männer, die ihr Auto entsprechend aufmotzen, aber von einer Szene könne man nicht sprechen.

KRIMINALITÄT ALS TEIL UNSERER GESELLSCHAFT

Ist in Worms also alles gut? „Kriminalität ist Teil unserer Gesellschaft, unser Ziel ist es, den Überblick zu behalten“, erklärt Danilo Lange zum Abschluss. Worms hat sich verändert, genauso wie die öffentliche Wahrnehmung von Kriminalität, die sicherlich durch das Internet nachhaltig geprägt ist. Ebenso hat sich insbesondere das Bild der Wilhelm-Leuschner-Straße zum Negativen verändert. Wird deshalb alles schlimmer? Die Antwort wird weiterhin unterschiedlich ausfallen und Worms auch in den nächsten Jahren beschäftigen. Die Stadt hat zumindest auf die Gefühlslage vieler Wormser reagiert und möchte in den nächsten Jahren die Ordnungsbehörde zu einem 24-Stunden-Dienst ausbauen. Um Stellen entsprechend besetzen zu können, beginnt man unter anderem, ab August 2020 auch eigenes Personal auszubilden.