Als Ende April die letzten Reste abgetragen wurden, da verschwand in der Schönauer Straße endgültig ein Bauwerk, das fast vier Jahrzehnte lang das Bild des südlichen Eingangs von Worms geprägt hatte. Einst angepriesen als große Zukunftshoffnung, in der man das Einkaufserlebnis mit Unterhaltungsgastronomie verband, gehört der NIBELUNGENCENTER seit Ende April 2020 der Vergangenheit an und muss zukünftig dem Wohnquartier Gerbergasse weichen.

Wenn man sich heute mit jungen Leuten unterhält, bekommt man über Worms zumeist das Gleiche zu hören. Hier sei nichts los, die Freizeitmöglichkeiten seien beschränkt. Das war nicht immer so. Tatsächlich gab es in den Achtzigern sogar neun Kinosäle in Worms. Blockbuster liefen im Europakino (im Europahaus) oder im Roxy (heute Lincoln Theater) und wanderten danach ins KW-Kino (1 – 4). Dann gab es noch den „Wormser Kinotreff 1, 2 und 3“ in besagtem NIBELUNGENCENTER, wo zumeist B-Filme, die es nicht bis in die großen Säle geschafft hatten, oder irgendwelche „Schmuddelfilme“ gezeigt wurden. Die Kinosäle kann man heute vergleichen mit dem weiträumigen Wohnzimmer eines Kumpels, der sich einen großen Flachbildschirm geleistet und ein paar Stühle davor platziert hat. Dementsprechend bewegten sich die Besucherzahlen durchgängig im niedrigen zweistelligen Bereich, weshalb der „Kinotreff“ schon bald seine Pforten schloss. In den 80er Jahren gab es auch zwei Discotheken, deren Tanzflächen fest in der Hand stationierter US-Soldaten waren, die den Einheimischen die Funk-Soulmusik der 60er und 70er Jahre näherbrachten. Noch heute schwärmen viele Wormser von durchfeierten Nächten im „Bonsoir“ oder in der „Star Disco“. Es gab eine Rollschuhbahn, später eine Bowlingbahn und ein Fitnessstudio sowie viele kleinere Geschäfte. Einen prägenden Eindruck hinterließ der Einkaufscenter BIG, der ein für damalige Verhältnisse sensationelles Angebot auf einer riesigen Verkaufsfläche führte. Lange bevor Greta Thunberg geboren wurde, gab es im BIG zum Einpacken der Einkäufe – ganz amerikanisch – Papiertüten, die man auch prima als Mülltüten verwenden konnte.

Keine Erfolgsgeschichte
Das Konzept des Anfang der 80er Jahre gebauten NIBELUNGENCENTER bestand darin, Einkaufsmöglichkeiten und Unterhaltungsgastronomie unter einem Dach zu präsentieren. Eine Erfolgsgeschichte wurde das ehrgeizige Projekt aber nie, weil das Angebot nicht dauerhaft von den Wormsern angenommen wurde. Vielen waren die fünf Minuten Gehweg von der Innenstadt zum NIBELUNGENCENTER bereits zu viel. Ständige Geschäftswechsel zeugten zudem davon, dass sich die Mieter nur selten über einen längeren Zeitraum halten konnten. Mit der Eröffnung des Wormser Einkaufspark (WEP) in unmittelbarer Nachbarschaft begann ab 2008 der schleichende Tod des NIBELUNGENCENTERS. Da auch BIG-Nachfolger Marktkauf schon bald die Segel streichen musste, blieb zum Schluss nur noch Bauhaus als Hauptmieter übrig. Als Mitte 2015 auch die Baumarktkette ihre Pforten schloss, wurde das NIBELUNGENCENTER an eine Investorengruppe verkauft. Danach stand das Gebäude lange Zeit leer, während hinter den Kulissen vier Mal die Eigentümer wechselten. Anfang 2019 setzte ein Brand dem Gebäude zusätzlich zu. Danach schritten die Abrissarbeiten zügig voran und seit Ende April 2020 ist das NIBELUNGENCENTER endgültig Geschichte. Begraben unter 15.000 Tonnen Bauschutt existiert es fortan nur noch in den Erinnerungen älterer Wormser.

Wohnquartier Gerbergasse
Anstelle des Nibelungencenters soll zukünftig an dieser Stelle das „Wohnquartier Gerbergasse“ von dem Projektentwickler Dr. Harald Gerlach aus Bamberg und dem Investmentunternehmen Krakat Real Estate (KRE) umgesetzt werden. Das Projekt hat ein Kostenvolumen von rund 92 Millionen Euro. Auf rund 35.000 Quadratmetern entstehen mehrere Wohnanlagen, ein Seniorencampus mit 50 betreuten Wohnungen, eine Tiefgarage mit 270 Stellplätzen (davon 35 für das Hotel), ein Verwaltungsgebäude sowie – zusätzlich zu der Tiefgarage – weitere 63 Stellplätze. Zudem wird sich ein Hotel mit 96 Zimmern ansiedeln von der Kette „B & B“ („Bed & Breakfast“), die deutschlandweit Hotels betreibt und in Worms entsprechendes Potential sieht. Dies deckt sich auch mit der Strategie der Stadt, mehr auf das Thema Tourismus setzen zu wollen. Ein Schwerpunkt wird das Seniorenwohnen sein, wobei hierbei die Advita-Gruppe, die in ganz Deutschland solche Projekte entwickelt, als Partner fungiert. Hiermit ist aber nicht ein klassisches Altersheim gemeint, sondern freies Wohnen im Alter. Der Service nennt sich „Wohnen plus“, d.h. jeder kann dort wohnen. Wer allerdings bestimmte Einzelleistungen benötigt, kann sich diese hinzubuchen. So wird eine Tagespflege mit einem Café angeschlossen sein. Außerdem wird es auch eine Patientenbeatmungsgruppe geben, also auch Intensivpflegebereiche, sowie eine Zentralküche. Auf diese Struktur können auch die 82 Wohnungen im „Wohnen am Dom“, ein weiteres Gebäude auf der zum Dom ausgerichteten Seite, zurückgreifen. Hier entstehen allesamt kleinteiligere Wohnungen für Senioren; ein Angebot, das sich in der Regel an ältere Menschen richtet, die keine Kinder haben oder deren Kinder bereits aus dem Haus sind und die ihr Leben nun in der Stadt verbringen wollen. Die Wohnungen werden sich in einer Größenordnung zwischen 40 bis 70 Quadratmetern bewegen. Das gesamte Wohnquartier Gerbergasse soll in viereinhalb Jahren umgesetzt sein. Der erste Abschnitt entlang der Gerbergasse, also zum Dom hin, soll als Erstes bereits Ende 2022 fertiggestellt werden.