Konzertkritik von „Worms: Jazz & Joy 2021“ (FR) mit Lotte, Michael Schulte, Niels Frevert und Wallis Bird

20. August 2021 | Weckerlingplatz und Schlossplatz:

Am zweiten Festivaltag bot der Weckerlingplatz mit Lotte und Michael Schulte dem deutschen Popnachwuchs eine Bühne. Eröffnet wurde der Abend von der 26-jährigen Musikerin Lotte, die zugleich unterstrich, warum es mehr denn je einer witzig schlauen Wortakrobatin wie Judith Holofernes in Deutschlands Pop Dschungel bedarf.

Dem Publikum auf dem bereits um 20 Uhr sehr gut gefüllten Platz war das jedoch egal und es erfreute sich ob der Tatsache, endlich wieder gemeinsam Livemusik genießen zu können und an dem kraftvollen Sound, der durch das touristische Zentrum von Worms wehte. Mit zwei Alben im Gepäck beglückte LOTTE mit ihrer routiniert aufspielenden Begleitband die Zuhörer in erster Linie mit Stücken aus ihrem 2019 erschienenen Album „Glück“. Das musikalische Rezept von Lottes Oeuvre ist dabei ziemlich einfach gestrickt. Auf den Vers folgt die Bridge, die schließlich in einen mitsingfähigen Refrain mündet. Zumeist in der klassischen Besetzung Gitarre, Bass, Drums und Keys gespielt, erweckte der angehauchte Rocksound eine gewisse Nähe zu ähnlich generischen Acts wie Revolverheld. Sie selbst erklärte zu ihrer Musik, dass sie von der „verkopften“ Liedermacher-Melancholie hin zu einer optimistischeren, dem Leben zugewandten Denkweise möchte. Wo in den Nullerjahren bei Musikerinnen wie Judith Holofernes (Wir sind Helden) der Anspruch vorherrschte, etwas Bedeutsames sagen zu wollen, textet Lotte fröhlich Alltagspoesie, perfektioniert für die Radiorotation oder eben für einen lauschigen Open Air Abend in Worms. Wenn auch ein paar Jahre älter, gehört der 31-jährige MICHAEL SCHULTE ebenfalls zum aktuellen Gute-Laune-Popnachwuchs. Passend dazu fand sein musikalischer Durchbruch im Casting Format „Voice of Germany“ statt. Seinen bisherigen Karrierehöhepunkt feierte er wiederum mit einem ordentlichen vierten Platz beim Eurovision Song Contest 2018 mit der Ballade „You let me walk alone“, die es auch in Worms beim Rheinland-Pfalz-Tag 2018 zu hören gab. Ähnlich wie bei Lotte will auch Schultes Musik nicht wehtun, auch wenn sie sich gelegentlich einen nachdenklichen Anstrich gab. Stets wirkte Schulte wie der Versuch, endlich als deutscher Ed Sheeran wahrgenommen zu werden. Dass er dabei dennoch eine bessere Figur als seine Kollegin Lotte machte, lag an dem sympathischen Auftreten des Lockenkopfs, dem es ein Leichtes war, das Publikum für sich zu begeistern.

Schlossplatz:
Dass Tiefgang nicht zu Lasten von ohrschmeichelnden Melodien gehen muss, demonstrierte der Hamburger Songwriter NIELS FREVERT mit seinem Auftritt auf dem Schlossplatz. Frevert lernte seine musikalischen Meriten in den 90er Jahren mit der Band Nationalgalerie, ehe er begann, auf Solopfaden zu wandeln. Zwar veröffentlichte er in gerade mal zwanzig Jahren lediglich sechs Alben, deren Laufzeit jeweils gerade mal 30 Minuten beträgt, die gehören allerdings zum Besten, was die Deutsch-Pop-Szene zu bieten hat. Warum, das demonstrierte er, begleitet von einem Keyboarder und einem weiteren Gitarristen, im Schatten des Wormser Doms. Seine Songs wollen nicht einfach unterhalten, sie wollen berühren und das taten sich auch in dieser lauen Sommernacht. Seine Texte sind nicht bloß Behauptung, sondern leise Beobachtungen seiner Umwelt oder seines Innersten. Mit dem launisch trockenen Humor eines echten Norddeutschen ausgestattet, überzeugte er zudem auch als Moderator seiner Songs und sorgte so für einen echten Jazz & Joy Höhepunkt.

Keine Unbekannte in Worms ist die Irin WALLIS BIRD. Bereits 2013 beehrte sie das Festival und spielte damals auf dem Platz der Partnerschaft. Hatte sie damals noch eine Band im Rücken, reichten ihr beim diesjährigen Auftritt eine Gitarre, ein Loop-Gerät und ihre Stimme, um dem Publikum mächtig einzuheizen. Dabei heizte sie selbst ihrer akustischen Gitarre dermaßen ein, dass bereits nach dem zweiten Song drei Gitarrensaiten und zwei Klampfen verschlissen wurden. Wer die Folksängerin Bird schätzte, konnte zunächst in Anbetracht des deutlich rhythmusorientierteren Sounds überrascht sein. Das Publikum gewöhnte sich jedoch schnell an die gereifte Wallis Bird und feierte die zierliche Sängerin im roten Overall zurecht am Ende eines großartigen Konzertabends am Schlossplatz.

Fazit: Vier Popmusiker, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten, standen am Festivalfreitag auf den beiden Bühnen. Während am Weckerlingplatz der Mainstream vorherrschte, durfte man am Schlossplatz der hohen Kunst des authentischen Songwriting lauschen.