Selbstmord eines Flüchtlings sorgt für kontroverse Diskussionen

Für viele Wormserinnen und Wormser war der 2. Oktober 2022 ein ganz normaler Sonntag. Für den 32-jährigen Somalier Abdirashid H.A. war es indes der letzte Tag seines Lebens. In Anwesenheit der Polizei sollte er ein letztes Mal in die Gemeinschaftsunterkunft in der Klosterstraße gehen, um das Wenige zu holen, was ihm gehörte. Doch dann stürzte er aus dem Fenster in den Tod.

Die Öffentlichkeit hätte über die Umstände nichts erfahren. Eine Polizeimeldung gab es nicht. Doch dann wandte sich der Helferkreis Asyl e.V. an die Öffentlichkeit, um über die Umstände des tragischen Schicksals eines Menschen zu berichten, der seine Heimat verließ, in der Hoffnung, ein besseres Leben zu finden. Doch das Leben meinte es nicht gut mit ihm. Seit sieben Jahren lebte der Somalier in Worms, genauer gesagt in dem Hochhaus in direkter Nachbarschaft zum Discounter Lidl in der Klosterstraße. Eine Wohnung zu suchen oder einen Job anzunehmen, war ihm nicht erlaubt, da sein Asylantrag abgelehnt wurde und er lediglich eine Duldung hatte. Einzig für die Putzdienste in dem Gebäude bekam er einen Euro pro Stunde gezahlt. Letztlich war der Plan gescheitert, seine Frau und seine drei Kinder nach Deutsch-land zu holen. Doch was tun? Zurückkehren in eine Heimat, mit nichts in der Hand, außer der Hoffnung, dass vielleicht einmal die Bürger- kriege enden und ein normales Leben in Somalia möglich ist? Seit 2018 fand der Mann Unterstützung durch den Helferkreis Asyl, doch auch sie konnten wenig gegen Bürokratie und Gesetze ausrichten. Für Abdirashid bedeutete das, ein Leben ohne Perspektive in Worms zu führen. Die Gemeinschaftsunterkunft wurde zu seiner Heimat. Gemeinsam mit 14 weiteren Männern musste er sich eine Küche teilen. Ein karges, kleines Zimmer sorgte für ein wenig Privatsphäre. Konflikte waren vorprogrammiert und sorgten immer wieder für Polizeieinsätze. Das Problem war bekannt, auch OB Kessel berichtete in der Vergangenheit in verschiedenen Gremien über die schwierige Situation.

„Dumm gelaufen“

Auch am Wochenende Anfang Oktober kam es zu einem Polizeieinsatz. In einer Pressemitteilung erklärt der Helferkreis: „In der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober stand Abdirashid – nach Aussagen von Mitbewohnern – unter Alkoholein?uss und randalierte. Die Polizei wurde alarmiert und nahm Abdirashid in Gewahrsam. Am 2. Oktober wurde Abdirashid bei seiner Rückkehr in die Flüchtlingsunterkunft mitgeteilt, dass er Hausverbot hätte.“ Weiter heißt es, dass ihm unklar war, in welche alter- native Unterkunft er umziehen sollte. Ein schriftlicher Bescheid der Stadtverwaltung Worms oder dem ASB lag höchst wahrscheinlich nicht vor. So befürchtete der Mann, in der Obdachlosigkeit zu enden – in einer Situation, die er bereits während seiner Flucht aus Somalia monatelang hatte ertragen müssen. Zwischenzeitlich hatte der Sicherheitsdienst die Polizei geholt, die mit drei Kräften eintraf und den Somalier zu seinem Zimmer begleitete. Was dann geschah, ist ungeklärt. Nach Aussage eines Mitbewohners hätten zwei Beamte sich vor dessen Zimmer postiert, ein Beamter wäre im Zimmer gewesen und hätte den anwesenden Mitbewohner unsanft aus dem Zimmer geführt. „Unter welchen Umständen Abdirashid aus dem Fenster stürzte und wieso dies nicht verhindert werden konnte, ist kaum nachvollziehbar und muss sorgfältig aufgeklärt werden“, fordert der Helferkreis, der selbst wenige Minuten später vor Ort war. Als dieser mit der Polizei sprach, erklärte man ihnen, dass es „dumm gelaufen“ sei. Zwischenzeitlich ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Es ist nicht relevant, von welcher Herkunft er war

Während die Ergebnisse noch unklar sind, führte die Geschichte zu kontroversen Diskussionen in den Sozialen Medien. Erschreckend war hierbei der Zynismus, mit dem nicht wenige Wormser diesem tragischen Fall begegneten. Während ein Teil direkt den Helferkreis attackierte, da sie herauszulesen glaubten, dass dieser die Polizei attackiere, war wiederum für andere klar, dass es sich um einen klaren Selbstmord eines Suchtkranken handelte. Andere unterstellten dem Mann, jeden Tag Party zu feiern oder begrüßten den Tod des Somaliers, da es ja den Richtigen getroffen hätte. Zwischenzeitlich wurden einige dieser Kommentare wieder gelöscht. Dennoch bleibt ein zynisches Bild einer Gesellschaft, die offenbar ihre Empathie klar über „gute Menschen“/„schlechte Menschen“ definiert. Doch es gibt sie noch, die Menschen, die Situationen richtig einschätzen. So erklärte eine Kommentatorin: „Unglaublich, wie tief die eigene Unzufriedenheit bei Menschen sitzt, um solche Aussagen in aller Ö?entlichkeit zu tätigen. Ein Mensch hat sich das Leben genommen und es ist nicht relevant, von welcher Herkunft er war. Was und wie es sich zugetragen hat, wissen nur die Personen, welche unmittelbar dabei waren. Mit Mutmaßungen und unsachgemäßen Äußerungen sollte man sich daher dezent zurückhalten. Die Polizei macht ihren Job und der ist auch nicht immer einfach. Mein Mitgefühl gilt den Angehörigen, in dieser für sie schweren Zeit.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Text: Dennis Dirigo, Foto: Andreas Stumpf