Es gab eine Zeit in Worms, da konnte man für wenige Monate einen Hauch von Aufbruchsstimmung verspüren. Nach 32 Jahren musste die SPD den von ihr besetzten Chefsessel im Rathaus an einen CDU Kandidaten abtreten. Die CDU stand in Worms plötzlich nicht mehr für einen bräsigen Politikstil, ganz im Sinne eines „Weiter so!“, sondern signalisierte dem Wähler eine neue, mutige, alternative Politik. Doch in letzter Minute entschied man sich doch für das Altbewährte und verspricht: „Es soll ein Neuanfang werden“.

Noch im November des vergangenen Jahres, kurz vor der Stichwahl zum Oberbürgermeister, veröffentlichte die Wormser CDU gemeinsam vereinbarte Umweltziele mit Bündnis 90/ Die Grünen und signalisierte dem Wähler, dass man sich derzeit den Grünen näher fühle als der SPD, mit der man die 32 Jahre zuvor im Stadtrat mehr oder weniger als Große Koalition durchregierte. Bereits bei der OB Wahl äußerte allerdings der Wormser Wähler mehr als deutlich, dass er diese Art von Politik nicht mehr möchte. Adolf Kessel, der CDU Kandidat, profitierte letztlich von dieser Wechselstimmung, die sicherlich auch von dem jungen OB Kandidaten Peter Englert mit beeinflusst wurde. Er zeigte den etablierten Kommunalpolitikern, wie man junge Wähler mobilisieren und alte Wähler wieder für Politik begeistern kann. Plötzlich war alles möglich, denn Worms will schließlich weiter. Nach der deutlichen Abwahl des bisherigen Oberbürgermeisters Michael Kissel zog sich die SPD für kurze Zeit zurück, um die zugefügten Wunden zu lecken und sich alsbald beim Parteitag Mitte Januar, pünktlich zur Eröffnung des Kommunalwahlkampfes, als geläuterte, vielmehr sogar runderneuerte Partei zu präsentieren. Die Kandidatenliste sollte hierfür schon mal ein Signal sein. Junge Kandidaten, die, ähnlich wie Peter Englert, für einen neuen Politikstil stehen, wurden auf der Liste prominent platziert. Ein Vorgang, der sich kurze Zeit später bei der CDU wiederholte. Dort ging man noch einen Schritt weiter. Während sich bei der SPD die Jungkandidaten ausschließlich aus den Reihen der Jusos rekrutierten, vergab die CDU sogenannte Wildcards an komplette Politikneulinge wie Benedict Schulz und Christian Mayer und signalisierte abermals einen Aufbruch zu einer neuen Politik mit frischem Wind.

KLASSENKAMPF IM WAHLKAMPF

Karlin und Co. präsentierten sich deutlich grüner, kämpften für ein fahrradfreundlicheres Worms, die Etablierung eines neuen Innenstadtkonzeptes, das verträglich sein sollte mit dem Ausbau von Worms als Touristenstadt. Die Wormser SPD versuchte indes die Unterschiede zur CDU per Klassenkampf zu verdeutlichen, streuten in Wahlkampfreden die Aussage, dass diese die Wohnungsbau GmbH verkaufen wollten und stilisierten sich besonders im Konflikt um das Andreasquartier zur bürgernahen Partei. Während die CDU ganz im Sinne des Tourismuskonzeptes ein Hotel an dieser markanten Stelle etablieren wollten, hielt die SPD an den Jahre zuvor beschlossenen Plänen fest, dort die neue Stadtverwaltung einzurichten (WO! 03/19). An den verwaltungsfreien Tagen sollte der Innenhof als eine Art Kulturhof zusätzlich genutzt werden. Um den Unterschied, böse konservative Unternehmerpartei vs. bürgernahe, soziale Partei, zusätzlich zu unterstreichen, lancierte die Wormser SPD mitten im Wahlkampf eine Pressemeldung, in der sie behaupteten, dass die CDU im Andreasquartier gar kein Hotel plane, sondern dieses an einen Investor verkaufen möchte, der wiederum Luxuswohnungen dort bauen möchte. Klaus Karlin, Fraktionsvorsitzender der CDU, wies dies als böswillige Aussage zurück, die jeder Grundlage entbehre. Als die Kommunalwahl schließlich gelaufen war, stand für die Wormser SPD fest, dass sie abermals Federn lassen musste. Vier Sitze gingen verloren, sodass sie zukünftig nur noch mit 14 Stadträten im Ratssaal vertreten ist. Als wäre das noch nicht genug, mussten sie zur Kenntnis nehmen, dass die Revolution der jungen Wilden ausblieb und stattdessen der mittlerweile berühmt berüchtigte „alte, weiße Mann“ sein großes Comeback feierte. Ebenso hart traf es den Frauenanteil. Die CDU, die im Wahlkampf deutlich geschlossener auftrat, konnte die eingereichte Kandidatenliste weitestgehend verteidigen und stellt mit 15 Personen zudem die stärkste Fraktion, musste allerdings den Verlust von drei Sitzen hinnehmen.

MIT WEM NUN KOALIEREN?

Gemäß des grünen Wahlkampfs der CDU sprach sich in Worms schnell eine mögliche Partnerschaft mit Bündnis 90/Die Grünen herum. Dieses Duett würde natürlich nicht reichen, um bei Entscheidungen eine Mehrheit im Stadtrat zu haben, also musste ein dritter Partner her. Eine Dreierkonstellation gemeinsam mit FWG/Bürgerforum Worms wurde wahrscheinlicher. Gemeinsam hätte man mit satten 28 Stimmen eine ordentliche Mehrheit gehabt. Natürlich traf man sich auch mit der SPD, mit der man 29 Stimmen hätte. Die SPD streckte gleichzeitig auch die Fühler aus, um neue Verbindungen einzugehen. Kurz nach der offiziellen Verabschiedung des alten OB’s schälte sich jedoch immer deutlicher heraus, dass es wohl erneut zu der skeptisch beäugten GroKo kommen würde. Mitte Juli veröffentlichte man schließlich eine gemeinsame Presseerklärung mit der markanten Überschrift „Gemeinsames Ziel heißt Worms- Plan“. Nun kann man sich als Wormser ob eines solchen Titels schon mal die Augen reiben und fragen: Früher gab es also in der gemeinsamen Politik keinen Worms-Plan? Stephanie Lohr, Parteivorsitzende CDU, Ortsvorsteherin Abenheim und MdL sowie Jens Guth, MdL und Stadtratsmitglied, erklärten in dem Schreiben, dass die Neuauflage kein „Weiter so!“ bedeute, sondern vielmehr ein Neuanfang sei. Im Gespräch mit WO! erläuterte die junge Parteivorsitzende, dass es ihnen erst mal wichtig sei, der SPD klar zu machen, dass sie den Anspruch der Führungspartei innehaben. Um die Gespräche für das Koalitionspapier nicht im Klein-Klein verlaufen zu lassen, hat man einen gemeinsamen Klausurtag durchgesetzt, der professionell moderiert wird. Zudem werden Referenten bzw. Berater zu den zentralen Themen eingeladen, um ein optimales Ergebnis mit Verbindlichkeit zu garantieren. Das Papier soll im Anschluss der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Auf die Frage, warum die angestrebte Kooperation mit den Grünen scheiterte, erklärt sie, dass es einem Teil der Fraktion zu riskant erschien, bei wichtigen Entscheidungen abhängig von einer Befragung der Basis zu sein. Richard Grünewald bestätigte dann auch, dass dieser Umstand ein Knackpunkt war. Bei einigen Themen seien zudem die Meinungen kaum vereinbar gewesen, so z.B. bei der zukünftigen Besetzung des Stadtvorstandes. Während die beiden kleineren Fraktionen eine Ausschreibung wollten, plädierte die CDU dafür, dass eine parteiinterne Besetzung nicht ausgeschlossen werden sollte. Letztlich gab es wohl zwei Flügel innerhalb der CDU. Ein Neuanfang hätte viel Mut erfordert, den wohl nicht jeder aufbrachte. Warum also nicht weiter machen mit denen, die man kennt? Inhaltlich möchte man sich in der Zusammenarbeit an den zehn Zielen des Oberbürgermeisters Adolf Kessel orientieren, die dieser bei der Amtseinführung vorgestellt hat (nachzulesen auf unserer Homepage „Die Ziele des Adolf Kessel“). Ende gut, alles gut? Nicht ganz.

EINE PRESSEMELDUNG SORGT FÜR VERWUNDERUNG

Nachdem klar war, dass es zu einer Neuauflage der alten Koalition kommen würde, sorgte eine Pressemeldung der SPD bei vielen Wormsern für Kopfschütteln. Wenige Tage nach der GroKo Ankündigung verschickte diese eine Mail, in der sie erklärten, warum es zu keiner Partnerschaft mit den Grünen kam. „Richard Grünewald ging es wohl nicht um eine ernsthafte Verhandlung mit der SPD, bedauert SPD-Fraktionsvorsitzender Timo Horst. Dies zeigt sein erneuter Kommentar, in dem er sich mehr mit Personen und Vergangenheit beschäftigt, als mit den Ideen für Worms“, heißt es darin. Was er gesagt haben soll, wird indes nicht erläutert. Auf Nachfrage unseres Magazins erklärt Richard Grünewald, Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen, dass sich die Aussage auf eine Mail beziehe, die er der SPD geschrieben hätte und die zugleich die Absage an weitere Koalitionsgespräche war. Nach einer Mitgliederbefragung sprach man sich dafür aus, mit der CDU und der FWG/Bürgerforum weitere Gespräche zu führen. Grünewald schrieb: „Wir hatten den Eindruck, dass ihr alles zusagen würdet, nur um in eine Koalition zu kommen. (…) Ihr habt euch dargestellt als wahre SPD, die unter der Herrschaft Kissels entstellt gewesen sei. (…) Dies hat auf mich unglaubwürdig gewirkt. Wie sollen wir glauben, dass dieselben Akteure binnen eines halben Jahres vom Saulus zu Paulus wurden, nur weil der große Bruder geht.“ Eine sicherlich nicht schmeichelhafte, aber zumindest ehrliche Einschätzung Richard Grünewalds, die wahrscheinlich auch niemals jemand außerhalb dieses Kreises mitbekommen hätte, wenn die SPD nicht die Öffentlichkeit gesucht hätte. Die SPD schrieb in ihrer Mitteilung weiterhin, dass die gewählten Stadträte Ihrer Verantwortung nachkommen sollen und weniger über Personen, sondern mehr über Themen diskutieren. Das ist richtig, umso verwunderlicher ist es, im Nachgang über das Scheitern von Koalitionsgesprächen eine Pressemitteilung zu veröffentlichen. Am Ende dieser Meldung zitiert die SPD noch Pavel Zolotarev, früherer Stadtratskandidat SPD und klarer Sympathisant für das Dreierbündnis, mit der klaren Botschaft: „Der Wahlkampf ist vorbei!“ Dem Wähler drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass das noch nicht alle verstanden haben. Am 14. August trifft sich der neue Stadtrat zur ersten ordentlichen Sitzung. Ab dann wird sich zeigen, ob es den Kommunalpolitikern um die Weiterentwicklung der Stadt geht oder um die Sicherung von Macht und Einfluss.