Es ist wie in einer Beziehung. Obwohl man schon längst weiß, dass es „aus“ ist, bedarf es doch manchmal noch einer letzten Bestätigung, dass es besser ist, zukünftig getrennte Wege zu gehen. „Born this Way“ hat den Beweis geliefert, dass in der Ehe zwischen den Nibelungen-Festspielen und Dieter Wedel nach 13 aufregenden Jahren ein bisschen die Luft draußen war. Dafür war Worms aber auch Wedels längste – und wie er gerne betont – „anstrengendste“ Beziehung.
Die spannendste Frage im Vorfeld lautete, ob die Verpflichtung des neuen Intendanten Nico Hofmann, der schließlich zu den Hochkarätern im Fernsehgeschäft zählt, den scheidenden Regisseur und Intendanten Wedel womöglich dazu beflügeln würde, sich mit einem Paukenschlag zu verabschieden. Das hat er nicht, denn Wedels letzte Aufführung war ungewohnt ruhig, ohne viel Spektakel und immer wieder unterbrochen Wedels Markenzeichen, den unvermeidlichen Filmeinspielern. Vermutlich hatte Wedel aus seiner bisherigen Zeit in Worms gelernt, wo die Proben des Öfteren unter Beeinträchtigungen zu leiden hatten. Auch diesmal hatten das Wetter oder Autokorsos nach Siegen der deutschen Nationalmannschaft ein Proben oft unmöglich gemacht. Vielleicht hatte Wedel deshalb das Erzählen der Geschichte eher den Leinwänden als den Schauspielern überlassen. Man könnte auch sagen, er hat es sich zum Abschied einfach gemacht. Das war gewiss nicht immer so. Speziell in den ersten beiden Jahren, als erst dank Wedels Intervention die Festspiele gerettet wurden, soll der Intendant besonders schnell gealtert sein. Heute erzählt Wedel das mit einem Lächeln, zuletzt bei den Theaterbegegnungen im Heylshof, auch wenn das Chaos damals schon ziemlich groß gewesen sein muss. Aus künstlerischer Sicht starteten die Festspiele in den ersten beiden Jahren mit neu bearbeiteten Texten von Moritz Rinke, die zwar die Sage von ihrem Staub befreiten, auch wenn die modernen Nibelungen bei Theaterpuristen auf genauso wenig Gegenliebe stießen wie bei Freunden der Nibelungensage. Danach engagierte der Intendant mit Karin Beier eine echte Theaterfachfrau, die bei ihrem zweijährigen Intermezzo Theater vom Feinsten bot und sich hierbei der wuchtigen Dialoge der Hebbel-Fassung bediente. Dann übernahm wieder Wedel und steuerte geradewegs auf den künstlerischen Tiefpunkt zu, als WO! im August 2007 bereits titelte: „Quo Vadis Nibelungen?“ Nach einer Aufführung, die bereits bei der Medienprobe für Schmunzeln unter den anwesenden Journalisten gesorgt hatte, stand in unserem Magazin seinerzeit zu lesen: „So mancher Verfechter des Nibelungenliedes konnte es sich mitunter nicht verkneifen, den Kopf zu schütteln in Anbetracht martialischer Wehrmachtsuniformen, faschistisch angehauchter Burgunder, Altherrenfantasien bedienenden Lolita-Kitsches, einem Hunnenkönig als „König von St. Pauli“ mit barbusiger, aber ansonsten blasser Anouschka Renzi an seiner Seite.“ Von der künstlerischen Warte aus betrachtet hat Wedel 2008 aber wieder die Kurve bekommen und mit einer Doppelaufführung beider Teile, die in sich schlüssig war, überzeugen können. Den Feuilletons war das egal, denn die Aufführungen von Dieter Wedel wurden in feiner Regelmäßigkeit zerrissen. Von Anfang an, wobei sich „Die Süddeutsche“ in Sachen Boshaftigkeiten besonders hervortat. Nach Gilbert Mehmerts nicht immer witzigen, aber doch zumindest unterhaltsamen Nibelungen (“Das Leben des Siegfried“), folgte 2010 das Sparjahr bei den Nibelungen, das beinahe zu einem Bruch der Männerfreundschaft zwischen Oberbürgermeister Kissel und seinem Intendanten geführt hätte. Seinerzeit musste Wedel aus der Zeitung erfahren, dass er wegen der Finanzkrise nur „kleine Festspiele“ aufführen dürfe. Auf eine Vorabinfo durch Kissel hatte der Intendant vergeblich gewartet. Trotzdem zeigte sich Wedel anschließend als Profi und rettete die Festspiele mit einem Ensemble (u.a. Heinz Hoenig, Dirk Bach, Meret Becker, Alexandra Kamps und – welch Überraschung: Anouschka Renzi), das sich erneut sehen lassen konnte. Erstmals zeigten sich auch die Feuilletons der überregionalen Zeitungen gnädig und bescheinigten, mit „Teufel, Gott und Kaiser“ einen unterhaltsamen Theaterabend erlebt zu haben. Tatsächlich hatte man, den kurzen Probenzeiten geschuldet, eine Aufführung aus dem Boden gestampft, die das bot, was man von Theater erwartet: Gute Dialoge, starke Leistungen der Darsteller und eine unterhaltsame Geschichte. 2011 und 2012 wagte sich Wedel erneut an die Umsetzung eines nibelungenfremden Stoffes, diesmal stand „Jud Süß“ auf dem Spielplan. Obwohl einiges noch zu plakativ war, wie man das von seinen Fernsehproduktionen zuhauf kennt, kann man Wedel insgesamt bescheinigen, seriös das sensible Thema „Antisemitismus“ angegangen zu haben. Große Kulissen, eine starke Geschichte und Schauspieler wie Rufus Beck oder Jürgen Tarrach, die für den Rhythmus des Stücks sorgten, taten ihr Übriges. Gleichwohl boten die Veranstaltungen nicht den Auslastungsgrad wie die Aufführungen der Nibelungensage, die wieder 2013 auf dem Programm standen. Hierfür kündigte Wedel seinerzeit fantastische Nibelungen an, die dann als „Django meets Mad Max“ daherkamen. Von daher überraschte Wedel 2014 tatsächlich mit einer Aufführung, die sehr unspektakulär war und zum wiederholten Male (nach 2010) auf ein positives Echo der überregionalen Kritiker stieß. Trotzdem bleibt ein Makel der 13-jährigen Geschichte von Dieter Wedel bei den Nibelungen-Festspielen weiterhin bestehen. Die nach Meinung vieler regelmäßiger Besucher und überregionaler Kritiker beste Aufführung stammte aus den Jahren 2004 und 2005, als Karin Beier die Regie übernommen hatte. Diese konnte Wedel auch mit seiner letzten Aufführung nicht mehr toppen.
Profis genug
Auch die große Schlammschlacht hinter den Kulissen blieb aus. Vor der Premiere lobte der OB brav den scheidenden Intendanten und dankte ihm noch einmal für die Geduld, die er mit den Wormsern hatte. Derweil erlaubte sich der große Regiezampano nur hie und da einen Seitenhieb, z.B. als er in der SWR-Dokumentation „Drei Engel für Dieter“ (damit gemeint waren seine drei Pressedamen) den Seitenhieb versteckte: „Man kann das auch nur mit städtischen Mitarbeitern schaffen. Aber eben anders.“ Bekanntlich wird sich der Wedel-Tross, wozu auch der Assistent Joern Hinkel oder Pressefrau Monika Liegmann gehören, aus Worms verabschieden. Vermutlich werden auch einige Schauspieler, die unter Wedel stets eine Chance erhalten haben, zukünftig nicht mehr zum Ensemble gehören. Auch das wird nicht ausbleiben. Dass jedoch die Pressearbeit der KVG-Leute, nachdem Wedels Leute nicht mehr da sind, im nächsten Jahr einen dramatischen Einbruch hinsichtlich der öffentlichen Aufmerksamkeit erleiden wird, ist eher nicht zu erwarten. Dazu wird die Neugier der Presse und des Publikums zu groß sein, wie der „Neue“ die Sache angeht.
Mehr Teamwork
Jedoch wird die Zusammenarbeit eine andere. Wedel war eine One-Man-Show, der alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat und es Jahr für Jahr bestens verstanden hat, so die Werbetrommel zu rühren, dass genug Besucher auf das Spektakel am Dom aufmerksam wurden. Nico Hofmann ist als Teamplayer bekannt, der nicht direkt an der Front stehen wird, sondern seine Kontakte spielen lässt und die meisten Dinge im Team und in Netzwerkarbeit erledigt. Dafür steht zu erwarten, dass sich ein im Theaterbereich kompetentes und erfahrenes Team an die Umsetzung des Nibelungenstoffes machen wird. Hofmann hat bereits verkünden lassen, dass er auf klassisches Theater setzen wird. Übrigens ohne Filmeinspieler, die auch diesmal wirkten, als ginge es nur darum, Zeit zu überbrücken. Nach 13 Jahren Wedel, die viel Spektakel boten, haben die Festspiele nunmehr die große Chance, unter Nico Hofmann auf ein qualitativ neues Level gehoben zu werden. Um eine Hoffnung noch einmal zu wiederholen. In all den Jahren haben wir Fahrradboten mit Helmen, König Etzel in einer Stretchlimousine oder jüngst Nibelungen mit Maschinengewehren gesehen. Wie wäre es einfach mal mit einer klassischen Fassung der Nibelungensage? Das hätten die Festspiele nach 13 Jahren doch wirklich verdient.