„EIGENTLICH BEKOMMEN SIE SICH WEGEN KLEINIGKEITEN IN DIE HAARE!“

Geboren wurde er 1985 in Graz als Matthias Schweiger. Seine Erfolge, und die sind zahlreich, feiert er indes unter dem Künstlernamen Ferdinand Schmalz. Seit rund zehn Jahren gehört der studierte Literaturwissenschaftler zu den gefragtesten Bühnenautoren im deutschsprachigen Raum. Zahlreiche Auszeichnungen untermauern diesen Ruf. Schmalz schrieb unter anderem auch für die renommierten Salzburger Jedermann-Festspiele. Seine Auseinandersetzung mit den Nibe- lungen sollte bereits 2020 seine Uraufführung erleben, doch dann kam Corona. Die Zeit nutzte er

indes, um seinen ersten Roman „Mein Lieblingstier heißt Winter“ zu veröffentlichen. Selbstredend, dass es auch dafür sehr gute Besprechungen gab. In Worms sprachen wir mit dem Autor über den Reiz, sich mit den Nibelungen zu beschäftigen und die Faszination der Menschen für den Untergang.

WO! Sie waren in den letzten beiden Jahren wahrscheinlich schon ein paar Mal in Worms. Was konnten Sie bisher für sich entdecken? Ich war zuvor zweimal zu Besuch in Worms gewesen und habe mir natürlich bei Vannini ein Eis geholt (lacht). Unter anderem habe ich mir in Worms die Festspiele angeschaut und habe es genossen, wie die ganze Stadt die Festspiele lebt und die Menschen sich offenbar über die Bedeutung bewusst sind. Das hat Spaß gemacht.

WO! Wie kam es eigentlich zu dem Auftrag?

Thomas Laue kam auf mich zu. Er rief mich an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, während einer Probe in Worms vorbeizukommen. Damals wurde gerade an Albert Ostermaiers Stück „Glut. Siegfried von Arabien“ gearbeitet. Im anschließenden Gespräch fand ich es einen super spannenden Gedanken, sich an dem Ort, an dem sich einst die Nibelungensage zugetragen haben soll, mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Ich begann ortsspezifisch zu denken und beschäftigte mich mit dem berühmten Königinnenstreit. Den fand ich früher beim Lesen immer sehr ärgerlich. Eigentlich bekommen sie sich wegen Kleinigkeiten in die Haare. Im Kontext mit den mittelalterlichen Machtgefügen muss man das sicherlich anders bewerten. Trotzdem ließ mich der Gedanke nicht los, was wäre passiert, wenn sich beide anders verhalten hätten. Hätte es die Möglichkeit einer Komplizenschaft gegeben, ist die „Zänkerei“ eher kontraproduktiv?

WO! Es gab in der Vergangenheit immer wieder Ansätze von Autoren, sich mit dem „Was wäre wenn…“ auseinanderzusetzen. Dennoch mündete die Geschichte immer wieder im bekannten Untergang. Ist es als Autor eine Bürde, einen Stoff mit einem bekannten Ende zu erzählen?

Ja, das ist richtig und natürlich stellte ich mir beim Schreiben immer wieder die Frage, ob dieses Gemetzel sein muss? Bis zu einem gewissen Grad lebt wiederum das Theater von diesen Untergangserzählungen. Vielleicht kann man gera- de durch die Fehler der handelnden Personen etwas lernen.

WO! Woher rührt Ihrer Meinung nach die Faszination für den Untergang?

Die Frage, wie das alles enden kann, macht den Einsatz wahnsinnig hoch. Wenn mein Schicksal hier ein Ende findet, dann soll das Schicksal aller hier sein Ende finden! Das Spannende dar- an ist, dass so eine Erzählung wie eine Lupe funktioniert. Dann offenbaren sich plötzlich ganz groß die Schwächen der Menschen. Jede Entscheidung wird dann plötzlich riesig groß. Ich glaube, das macht Untergangserzählungen so interessant.

WO! Derzeit wirkt es, als hätten Putin, aber auch Europa, die Nibelungensage verinnerlicht. Sie als Nibelungenexperte, welchen Rat würden Sie geben, wenn Sie jemand fragen würde?

Was ich mich tatsächlich frage, ist, wenn diese Mechanismen in Gang gesetzt wurden, laufen die Personen tatsächlich nur aus blinder Zerstörungswut auf den Abgrund zu? Wenn wiederum jemand meine Meinung wissen möchte, würde ich natürlich empfehlen, sofort den Krieg zu stoppen und sich aus der Ukraine zu- rückzuziehen. Mir stellt sich dann schon die Frage, was man eigentlich beweisen möchte? Es scheint so, dass, wenn erst mal so ein Brandmal gelegt wurde, nicht aufgehört wird, bis das ganze Haus in Flammen steht.

WO! Ursprünglich solle der feministische Blick im Mittelpunkt stehen, dann kam Corona und schließlich der aktuelle kriegerische Konflikt. Was hat das mit Ihnen die letzten Jahre gemacht?

Tatsächlich waren wir schon recht weit, als Corona kam. Eine erste Probefassung war fertig. Dann kamen der Beschluss des Stadtrats und damit das vorläufige Aus für zwei Jahre. Für mich war das anfangs schon ein bisschen Luxus. Ich konnte das Stück etwas ruhen lassen und Abstand gewinnen. Mitte letzten Jahres nahm ich das Buch wieder in die Hand und begann zu lesen. Ich fand plötzlich interessant, dass sich tatsächlich mein Blick verändert hatte. Manche Aspekte wurden sozusagen von der Gegenwart eingeholt. In den letzten Wochen veränderte sich nochmals die Situation. Plötzlich fanden sich die Frage nach Heldentum und der gesamte Jargon rund um das Thema Loyalität in der Gegenwart wieder.

WO! Es fällt bei zahlreichen Medien eine mangelnde Distanz zu dem Thema auf, sowie eine Art von Heldenverklärung in der Lesart der Nibelungen.

Das ist richtig. Das kann man gut im Umgang mit dem Präsidenten Selenskyi beobachten. Ich denke, genau hier ist das Theater gefordert. Theater funktioniert wie ein Mikroskop für Sprache, wodurch man auch vorzüglich die Sprache von Demoskopen und die Manipulation entlarven kann.

WO! Werden Sie bei den Proben dabei sein? Auf jeden Fall. Ich werde natürlich bei der Leseprobe dabei sein und sicherlich auch in der Endphase. Aber es ist auch immer gut, wenn man als Autor das Team mal machen lässt.

WO! Wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Gespräch wurde geführt von: Dennis Dirigo / Foto: Presse