Frei nach dem Motto, alle guten Dinge sind drei, vollendet der Münchner Schriftsteller Albert Ostermaier in diesem Jahr mit dem Stück „Glut. Siegfried von Arabien“ seine Nibelungentrilogie. Bereits der Titel lässt keinen Zweifel, welchen Film der sprachgewandt Autor beim Verfassen des Stücks im Kopf hatte. Trotz Ähnlichkeiten zu den Abenteuern des britischen Soldaten, der als „Lawrence von Arabien“ zur Legende wurde, legt Ostermaier Wert darauf, dass seine Geschichte keine Kopie ist, sondern ebenfalls ein auf wahre Begebenheiten basierendes Abenteuer. Dennoch ist das Stück nicht einfach eine Nacherzählung der damaligen Geschehnisse, vielmehr vermengt der Autor die Nibelungensage mit den historischen Ereignissen zu einem explosiven Plot, der auch das aktuelle Zeitgeschehen streift. Allein die geplante Kulisse in ihrer Mischung aus Orient Express, Wüste und Wormser Dom verspricht bereits ein exotisches und spektakuläres Erlebnis, das es so noch nicht in Worms gegeben hat. WO! sprach mit Autor über seinen Abschied von den Nibelungen-Festspielen und das aktuelle Stück.
WO!: Sie haben jetzt ihr letztes von drei vereinbarten Stücken abgeliefert, d.h.: „Nie wieder Nibelungen!“ Wie fühlt sich das für Sie an?
Im ersten Moment war es ein Euphorieschub, als ich die fertige Fassung hatte. Unmittelbar danach überkam mich jedoch schon eine unerwartete Wehmut. 3-4 Jahre lang haben die Nibelungen-Festspiele mein Leben und die Architektur meiner Arbeit bestimmt. Die Nibelungen haben die Dramaturgie des Jahres vorgegeben und dann steht man vor dem Schock: ab 5. August ist alles vorbei. Man verbringt ja viel Zeit mit dem Stück, man verflucht es, es beflügelt einen, mobilisiert; man weiß, dass die Zeit sehr eng ist, man fürchtet, es nicht zu schaffen und wenn man fertig ist und das scheinbar Unmögliche geschafft hat, kommt unvermittelt das Gefühl, eigentlich noch drei Stücke schreiben zu können, weil die Ideen nur so emporschießen. Mein Zustand changiert zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Aber im Ernst: es ist alles bestens so. Ich freue mich wahnsinnig darauf, endlich den nächsten Roman anfangen zu können.
WO!: Wie lange arbeiten Sie an einem Stück wie jetzt aktuell „Glut“?
Ich sitze jeweils mindestens ein Jahr intensiv an dem Stück. Das fängt damit an, dass ich meine Ideen recherchiere und überprüfe, ob der Stoff szenisch funktionieren kann. Passt das, beginne ich zu schreiben. Das Stück muss schließlich bis Ende Januar fertig sein, die Schauspieler müssen ja gefunden und besetzt werden. Und alle wollen sie sofort etwas lesen, wenn sie gefragt werden. Das ist schon ein großer Druck, aber ich habe von Oliver Kahn gelernt, Druck als Motor zu verstehen.
WO!: Es war ursprünglich von acht Frauen die Rede, nun sind Sie bei mehreren Männern in einem Zug angekommen. Wie kam es zu diesem Wandel?
(Lacht) Nico Hoffmann muss schneller Interviews geben, als ich Stücke schreiben kann. Schon in der Premierennacht will jeder wissen, wie es weitergeht. Ich hab ihm von meiner Idee mit den acht Frauen erzählt und er war begeistert, wir haben schon im Kopf die Rollen besetzt. Aber dann nach einigen intensiven Gesprächen mit Nuran, entschieden wir uns, auch wegen der politischen Dimension, für „Glut“. Die Idee zu Glut war ja schon vor Gold da. Wir sprachen auch darüber, dass nach „Gemetzel“ „Glut“ folgen könnte. Nach den Erfahrungen aus meinem ersten Jahr, war es für mich damals allerdings zwingend, dass auf „Gemetzel“ „Gold“ folgen musste. „Gold“ war der Befreiungsschlag. Ich habe mich dann nach der erfolgreichen Premiere mit Nuran zusammengesetzt und wir sind verschiedene Ideen durchgegangen. Nach ein paar Sätzen war uns klar, dass das nächste Stück „Glut“ sein müsse, in Anbetracht der historischen und politischen Eskalationen in der Welt. Die Idee mit den Frauen war zwar wunderbar, aber aufgrund Nurans und meiner Leidenschaft für deutsche Geschichte und den Nahen Osten und wegen der engen Verknüpfung mit dem Nibelungenmythos war klar, dass es nur dieses Stück sein kann. Es ist für mich auch das logische Ende eines Triptychons. Das erste Stück spielte am Hof König Etzels, das zweite in Worms und „Glut“ ist im Grunde der Weg zu Etzel. Das Stück ist allerdings kein reines Männerstück, es gibt auch vier große Frauenrollen, von denen eine besonders tragend ist.
WO!: Es wirkt, als seien die Nibelungen lediglich Aufhänger, aber nicht mehr das Hauptmotiv. Wie viel Nibelungen stecken noch in dem Stoff?
Es stecken wahnsinnig viel Nibelungen in der Geschichte. Der Nibelungenstoff ist auch immer eine Erzählung der Gegenwart und die ist derzeit geprägt von entfesselten politischen Konflikten, wo persönliche Motive politische Realität werden. Man muss sich Personen wie Trump oder Erdogan anschauen, die schon „Shakespeare’sche“ Dimensionen haben. Personen, bei denen sich persönliche Gekränktheit in ihren politischen Entscheidungen widerspiegelt. Der Mythos Nibelungen erzählt immer wieder genau von diesen Dingen, so dass er immer auch ein Teil der Gegenwart ist. Ich muss aber auch sagen, leider, dass die Essenz doch sehr die Realität trifft. Da das Nibelungenlied als Erzählung und Selbstmythologisierung der Deutschen als Heldenepos gerade Anfang des Ersten Weltkriegs seine entscheidende Rolle gewann, war mir klar, dass das Stück in jener explosiven Zeit spielen muss, kurzum: „Glut“ ist ein absolutes Nibelungenstück.
WO!: Kann man im Grunde dann nicht jede Geschichte für die Festspiele verwenden und schließlich einen Überbau mit den Nibelungen konstruieren, frei nach dem Motto „sind wir nicht alle ein bisschen Nibelungen“?
Das geht aber nur, wenn es um kriegerische Konflikte oder das Thema Rache geht. Man könnte die Nibelungen sicher auch in ganz private Konflikte übertragen, aber das hätte mich nicht interessiert, da würde mir der politische Aspekt fehlen. Mich interessiert vor allem, die politische Sprengkraft der Geschichte herauszuarbeiten.
WO!: Imperialismus ist ein Thema von „Glut“ und das ist sicherlich auch eines, das sich bei den Nibelungen widerspiegelt.
Ja klar, es geht auch um Kolonialismus, den wir heute immer noch in und mit all seinen Perversionen in der Welt vorfinden. Die vielen Konflikte, die wir in dieser Region noch heute haben, deren Ursprünge liegen auch begründet im Ersten Weltkrieg und den vielen fatalen Fehlentscheidungen, die damals getroffen wurden. Viele wissen heute nicht mehr, wie eng das Deutsche Reich zum Beispiel mit dem Osmanischen Reich, der heutigen Türkei, verbunden war oder dass der Sultan und der Kaiser engste Freunde waren und dass viele Türken für die Deutschen auf den Schlachtfeldern im Westen gestorben sind. Mit diesem Wissen lassen sich auch die heutigen Konflikte ganz anders lesen.
WO!: Es gibt auch ein Buch über diese Geschichte: „Unter Wüstensöhnen“. Greifen Sie auf das Buch zurück?
Das Buch ist phänomenal. Es ist ein unglaublicher Fundus an Wissen und war insofern ein riesiges Geschenk, da es mir das Recherchieren erleichterte. Das war meine Inspirationsquelle bzw. mein Sparringspartner. Meine erste Fassung hatte dann auch aufgrund der vielen Informationen, die ich verwenden wollte, 250 Seiten. Es gab ganz viele Aspekte, die ich weiterverfolgen wollte. In der nächsten Fassung musste ich mich wieder darauf zurückbesinnen, worum es eigentlich geht. Jetzt sind es 142 Seiten, das wird sich aber nochmal ausdünnen, da ich ja bezüglich der Länge des Stücks ganz klare Vorgaben habe. Das Stück darf nicht länger als zweieinhalb Stunden laufen.
WO!: Für mich klingt die Geschichte sehr filmisch, was mich bei Ihnen als großer Filmfan nicht wundert. Man könnte auch sagen: „Eine Dame verschwindet“ (von Alfred Hitchcock, Anmerkung der Red.) trifft auf „Lawrence von Arabien“?
(Lacht) Ich glaube, ich habe mir in der Zeit der Vorbereitung alle Filme angeschaut, die in einem Zug spielen. Ich bin jetzt Experte in Sachen „Zugfilme“. Ein Film, den ich unglaublich stark und kraftvoll finde, ist „Snowpiercer“ (Science Fiction Film aus dem Jahr 2013, Anmerkung der Red.). Mich faszinierte die Idee, einen Querschnitt des gesamten gesellschaftlichen Kosmos in einem Zug unterzubringen und darzustellen. Ein Zug als „Welt in der Welt“. Und er rast auf die Katastrophe zu.
WO!: Ein kurzer Blick zurück in das letzte Jahr. Auf einer Skala von 1 bis 10. Wie weit hat Regisseur Nuran David Calis ihre Vision des Stückes „Glut“ getroffen?
Zehn! Das Faszinierende am Theater ist, dass ganz viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven zusammenkommen. Natürlich habe ich beim Schreiben meinen eigenen Film im Kopf, aber dann ist es spannend zu sehen, wie jemand wie Nuran kommt, der seine eigenen Bilder im Kopf hat. Natürlich gab es Änderungen, aber die ergeben sich beim Proben zwangsläufig. Es muss in der Übersetzung stimmen und das hat Nuran ganz großartig gemacht. Man muss sich auch vorstellen, dass es für einen Regisseur der größte Schwierigkeitsgrad ist, auf so einer Open Air Bühne zu inszenieren. Wir wollen ja kein normales Freilichttheater machen, sondern eins mit einem enormen Anspruch, das aber auch unterhalten soll. Bei allem Spektakel ist es Nuran aber auch gelungen, sehr intim zu arbeiten – wie man es bei den Monologen brillant sehen kann.
WO!: Ganz kurz zum Schluss. Wie hätte eigentlich das Handlungsgerüst bei dem Stück mit den acht Frauen ausgesehen?
(Lacht) Das kann ich jetzt nicht erzählen. Diese Idee ist zu schön und zu zwingend, als das ich sie jetzt einfach so in die Welt und nach Worms posaunen möchte. Aber wer weiß, vielleicht machen wir in einigen Jahren wieder ein Interview und reden über das Stück. Das wäre doch die schönste Wendung. Ich bleibe auf jeden Fall den Nibelungen treu.
WO!: Vielen Dank für das interessante Gespräch!