Die Stadtratssitzung am 2. April dürfte sehr interessant gewesen sein, lag aber leider nach unserem Redaktionsschluss. Nicht nur wegen der Spannungen innerhalb der SPD, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass Oberbürgermeister Kissel im Vorfeld in der Kritik stand, er habe Bürger und Stadtrat brüskiert, weil er durch einen positiven Bauvorbescheid bereits vor Wochen vollendete Tatsachen geschaffen habe.

Zugeben musste Kissel dies, als er dem Verwaltungsgericht Mainz gegenüber am 5. März 2014 die prozessuale Erklärung abgab: „Der Antrag der Beigeladenen auf Erteilung eines Bauvorbescheides wurde bereits positiv beschieden.“ als Bauvorbescheid bezeichnet man im deutschen Baurecht eine vorgezogene verbindliche Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde über Teilfragen der Vereinbarkeit eines Bauvorhabens mit dem öffentlichen Baurecht. Dieser beinhaltet eine rechtliche Bindung der Stadt, die durch einen Widerruf des Bauvorbescheides aufgehoben werden kann, was allerdings Haftungsrisiken für die Stadtkasse aufwerfen kann, weil der Bauherr gegebenenfalls Ersatz eines Schadens durch eine dann notwendige Umplanung fordern könnte. Bevor also die rechtliche Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens überhaupt geprüft wurde, hat die Stadt einen Bauvorbescheid erteilt. Das kann nur zwei Dinge bedeuten: Entweder man boxt das Ding jetzt durch – gegen alle Widerstände. Falls nicht, wird es teuer für die Stadt, weil sie sich haftbar gegenüber dem Bauherrn, der Domgemeinde, macht, der bereits einen positiven Bauvorbescheid in der Tasche hat. Die Frage darf also durchaus erlaubt sein, warum Kissel die Öffentlichkeit nicht über den Eingang einer Bauvoranfrage und anschließend über das Ergebnis des Bauvorbescheides informiert hatte. Derart vollendete Tatsachen zu schaffen, ist schließlich kein unbedeutendes Detail…

DIE BI SCHLÄGT ZURÜCK

Kurz später ließen die Vertreter des Bürgerbegehrens „Freier Blick auf den Dom zu Worms“ durch ihren Anwalt Möller-Meinecke Widerspruch gegen die Erteilung des Bauvorentscheids bei OB Kissel einlegen und beantragten dessen Aufhebung. sowohl der Bauvorantrag als auch der Bauantrag waren am 31. Januar eingereicht worden. Der Bauvorentscheid ist am 27. Februar erteilt worden. Der Widerspruch und der Antrag auf Aufhebung des Bauvorbescheids basiert auf der Tatsache, dass „die Erteilung eines Bauvorbescheids rechtlich unzulässig ist, wenn bereits ein Bauantrag durch den gleichen Träger für das gleiche Objekt gestellt wurde.“ Ebenso auf der Tatsache, dass die Erteilung des Bauvorentscheids durch die Verwaltung in die Rechte der Unterzeichner des Bürgerbegehrens und die des Stadtrats negativ eingreife. Ohne Rücksicht und terminliche Not habe der OB zu Gunsten der Domgemeinde Fakten geschaffen, obwohl diese öffentlich erklärt hatte, nicht vor Herbst 2014 bauen zu wollen.

KISSEL VERTEIDIGT SEIN VORGEHEN

In einer Presserklärung ließ Kissel verlauten, dass der Domgemeinde keine Baugenehmigung erteilt werde, bis das Verwaltungsgericht zu einer Entscheidung komme. „Die mit dem formellen Bauantrag zeitgleich am 31. Januar eingereichte Bauvoranfrage sei jedoch am 27. Februar und damit lange vor dem seitens der Bürgerinitiative beim Verwaltungsgericht angestrengten „Moratorium“ positiv beschieden worden“, teilt der OB mit. „Ich habe zu keinem Zeitpunkt weder in den Gremien noch in der Öffentlichkeit Zweifel daran aufkommen lassen, dass meine Verwaltung Baugesuche ordnungsgemäß und somit ohne schuldhaftes Zögern bearbeiten wird“, bekräftigte Ob Kissel seine Haltung. eine Baugenehmigung selbst werde gemäß dem Wunsch des Verwaltungsgerichts hingegen nicht vor dessen Entscheidung ergehen, so der OB weiter. Fakt sei allerdings auch, dass der positive Bauvorbescheid Rechtsansprüche für die Domgemeinde begründet, sofern das darauf aufbauende Baugesuch nicht stark von der Bauvoranfrage abweiche.

FWG BÜRGERFORUM ÜBT SCHARFE KRITIK

Diese Brüskierung von Bürgern und Stadtrat wollte Mathias Englert vom FWG Bürgerforum so nicht stehen lassen: „Der Oberbürgermeister, Michael Kissel (SPD) – strikter Gegner direkter Demokratie (z.B. Bürgerentscheide) und treuer Verfechter der parlamentarischen Entscheidungsgewalt – hat durch den positiven Bescheid der Bauvoranfrage nicht nur die Unterzeichner des Bürgerbegehrens, sondern auch den Stadtrat getäuscht.“ Bei einem eingereichten Bürgerbegehren sei es ein „antidemokratischer Akt“, die Angelegenheit, gegen die sich das Begehren richte, weiter voranzutreiben. Die Fraktionsvorsitzenden seien im Ältestenrat erst über den Bauvorbescheid unterrichtet worden, als die Verwaltung dies schon vor Gericht habe einräumen müssen. Die Vertreter des Bürgerbegehrens – trotz positivem Bauvorbescheid – an den Verhandlungstisch zu holen und den Stadtrat in keiner Weise zu informieren, sei eine bewusste Täuschung. Das sei inakzeptabel und das Vertrauen in den Oberbürgermeister nachhaltig gestört. Englert dazu: „Dieses Verhalten ist nicht mehr mit dem Amt des Oberbürgermeisters vereinbar.“

BI DROHT MIT DISZIPLINARVERFAHREN

Als Konsequenz behält die Bürgerinitiative sich vor, aus diesem Anlass bei der Kommunalaufsicht die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegenüber dem Oberbürgermeister zu beantragen. Die Vorgehensweise des Oberbürgermeisters sei nicht nur ein Verstoß gegen gesetzliche Informationspflichten, sondern auch eine Brüskierung des Bürgers als Souverän, der mit dem Antrag auf ein Bürgerbegehren seine demokratischen Teilhaberechte wahrnehme. Der Oberbürgermeister schaffe ohne Not vollendete Tatsachen um „ein Vorhaben durchzupeitschen“ und greife den Ergebnissen eines Bürgerentscheids vor, so Winfried Thier von der BI. Der Oberbürgermeister sei nach der Kommunalordnung verpflichtet, den Stadtrat über wesentliche Verwaltungsvorgänge der Stadt zu informieren, wozu angesichts der monatelangen stadtplanerischen Diskussion um das „Haus am Dom“ ganz sicher der Eingang einer Bauvoranfrage dazu zähle. Der Oberbürgermeister handle damit unter Verletzung seiner Dienstpflichten.

KISSEL BLEIBT HART

Viel Kritik, die das Stadtoberhaupt zuletzt einstecken musste. Gleichwohl sah der Beschlussantrag der Verwaltung zur Sitzung des Stadtrates am 2. April vor, dem Antrag des Vereins „Freier Blick auf den Dom zu Worms e.V.“ auf einen Bürgerentscheid, aufgrund rechtlicher Unzulässigkeit, nicht zuzustimmen. „In einer sehr sachlich und verantwortungsvoll geführten Diskussion ist der Ausschuss dahingehend übereingekommen, dass es der Respekt gegenüber dem Verwaltungsgericht gebietet, dessen Entscheidung zunächst abzuwarten und diese dann in die weitere Beratung einzubeziehen“, betonte Oberbürgermeister Michael Kissel nach der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses. Gleichwohl habe sich in der Diskussion eine Mehrheit für die Beschlussvorlage der Verwaltung abgezeichnet. Auch die Frage, ob – sollte der Bürgerentscheid aus rechtlichen Gründen nicht zustande kommen – alternativ eine informelle Bürgerbefragung durchgeführt werden solle, wurde im Haupt- und Finanzausschuss diskutiert. eine Entscheidung darüber sei jedoch sowieso erst möglich, wenn der Bürgerentscheid endgültig als nicht zulässig beschieden werde, so der Stadtchef. Das Ergebnis eines Bürgerentscheids ist laut Gemeindeordnung für den Stadtrat bindend, eine Bürgerbefragung hingegen führt keine rechtlich verbindliche Entscheidung herbei. „Wenn damit Druck im Sinne des Verzichts auf ein zustehendes Recht ausgeübt werden sollte, wäre das der Würde des Stadtrates alles andere als angemessen“, begründet Kissel seine Bedenken.

DER STADTRAT IST GEFRAGT

Die Frage, ob Kissel sich durchsetzen konnte, wurde in der Stadtratssitzung am 2. April geklärt, die aufgrund des Wahlkampfes sicherlich von vielen Emotionen geprägt war. Noch vor kurzem hatte Generalvikar Giebelmann einer Wormser Bürgerin geschrieben: „Wir werden nicht gegen die Bevölkerung handeln!“. Die Frage ist nur, ob die Bevölkerung überhaupt noch nach ihrer Meinung gefragt wird, egal wie man das Ganze nennen mag, ob „Bürgerbegehren“, informelle Bürgerbefragung“ oder einfach nur „Meinungsumfrage“. Es müssten sich im Vorfeld einfach nur alle Seiten dazu verpflichten, dass man das Ergebnis dieser demokratischen Abstimmung akzeptiert. Bürgers Wille geschehe. Vorausgesetzt, man ist überhaupt daran interessiert, zu wissen, wie die Bürger in dieser Frage denken. Um langfristig den Frieden zwischen allen Beteiligten wiederherzustellen, sieht Stadtoberhaupt Kissel momentan nicht viele Möglichkeiten und ließ im Vorfeld verlautbaren: „Vielleicht ist eine klare politische Entscheidung und ein überzeugendes Ergebnis der einzige Weg.“ Was so viel heißen könnte wie: „Wenn wir jetzt Geschlossenheit zeigen und das Ding erst mal steht, werden irgendwann auch die letzten Kritiker verstummen…“. notfalls auch zu Lasten einer Schlappe seiner Partei bei der Kommunalwahl.

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