Wolfgang Niedeckens BAP kommen am 11. August zum Sonderkonzert von „Worms: Jazz & Joy 2019“, das auch gleichzeitig das Abschlusskonzert darstellt und ausnahmsweise am Festivalsonntag stattfindet. Aber für die Kölschrocker macht man gerne eine Ausnahme. Im Übrigen nicht zum ersten Mal in der Festivalgeschichte, denn auch für Joe Cocker und Bob Dylan brach man mit der ungeschriebenen Regel, das Sonderkonzert an einem Freitagabend auszutragen. Im Vorfeld des Auftritts beim diesjährigen Sonderkonzert von „Jazz & Joy“ haben wir uns mit BAP-Mastermind Wolfgang Niedecken nicht nur über Musik unterhalten, sondern ebenso über die neue EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, Greta Thunberg und Carola Rackete. Der war voll des Lobes für die Frauen.

WO! Zum dritten Mal sprechen wir miteinander und zum dritten Mal spielen Sie in Worms. So langsam scheint die Liebe des Kölners zum Wormser Dom durchzuschlagen? Haben Sie unseren Kaiserdom denn schon mal besichtigt?
Ich glaube nicht…

WO! Beim „Jazz & Joy“ spielen Sie im Schatten der Dreifaltigkeitskirche, mit dem Wormser Rathaus im Rücken. Aber der Dom ist nicht allzu weit entfernt….
Dann sollte ich das diesmal schaffen.

WO! Am Wochenende wurde Bergfest der Open-Air-Tour gefeiert, sind Sie bisher zufrieden?
Es ist wunderschön. Nicht nur die Open Airs, sondern die komplette Tour, die ja vor knapp einem Jahr angefangen hat. Dann kam diese merkwürdige WM, da haben wir pausiert und anschließend die restlichen Hallengigs gespielt. Jetzt spielen wir im Sommer noch 16 Open Airs und es war fantastisch bisher. Vor allem war es wunderbar, dass ich mich dazu durchgerungen hatte, diesen dreiköpfigen Bläsersatz für die Tour zu engagieren.

WO! Sie sprechen es an, auf der aktuellen „Live & Deutlich“ Tour ist erstmals eine Bläsersektion dabei. Wird das in Zukunft öfters der Fall sein oder war das eine einmalige Sache?
Wir sind ja eigentlich schon nebenbei mit dem nächsten Album beschäftigt. Dafür sind die Bläser genauso fest eingeplant wie für die nächste Tournee. Im Moment kann ich mir das überhaupt gar nicht vorstellen, ohne unsere Bläser zu spielen. Das macht so einen Riesenspaß, auch was da an Spielfreude rüber kommt. Unsere Musik hat dadurch enorm dazu gewonnen.

WO! Opener der aktuellen Tour ist „Drei Wünsch frei“ (aus dem Album „Zwesche Salzjebäck un Bier“, 1984) mit dem Zitat „Die rüsten weiter, als wär gar nichts, mit der Wahnsinnkonsequenz, dass man Kriegsminister jetzt Verteidigungsminister nennt“. Was sagt denn Wolfgang Niedecken zu der neuen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und der neuen EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen?
Ehrlich gesagt, traue ich den Mädels einiges zu. Ich halte die Frau von der Leyen für eine sehr fähige Person mit guten Nerven. Das hat sie schon oft genug unter Beweis gestellt. Natürlich hätte ich es lieber gesehen, wenn es Timmermans geworden wäre, um das Problem mit den Visegradstaaten oder die Problematik in Italien anzugehen. Aber das ist ein Thema, das vom Prinzip abendfüllend wäre.

WO! Auch „Widderlich“ aus dem Jahr 1993 (aus „Pik Sibbe“) ist wieder im Programm, das sich damals auf Helmut Kohls Reaktion auf die Morde in Solingen bezog. In dem Text findet man erstaunlich viele Parallelen zur heutigen Politik…
Das Lied habe ich damals geschrieben, weil ich mich wahnsinnig darüber geärgert habe, dass Helmut Kohl unser „Arsch huh“-Konzert in Köln als Beispiel angeführt hat, dass die deutschen Künstler gegen Rassismus eintreten, aber es tatsächlich nicht für nötig befunden hat, die Trauerfeier in der Türkei für die ermordeten Opfer von Solingen zu besuchen. Da hätte Kohl als Kanzler ausnahmsweise auch mal in meinem Sinne handeln können. Aus dieser Verärgerung ist der Text zu „Widderlich“ entstanden. Wenn man sehr aktuell in seinen Liedern ist, überlegt man manchmal, ob das überhaupt noch passt, wenn man es Jahre später wieder spielt. Was ich auf jeden Fall nicht mache, ist, dass ich Texte so aktualisiere, dass sie wieder in die Zeit passen. Das sollte man nicht tun, dann kann der ganze Song auseinander fallen. Bei „Widderlich“ sage ich mittlerweile bei den Konzerten, dass wir bereits vor 25 Jahren in weiser Voraussicht einen Song über die AfD geschrieben haben. Wenn dann die ersten Akkorde von „Widderlich“ kommen, fällt bei den Leuten der Groschen.

WO! Seit Monaten ein aktuelles Thema ist der Klimaschutz. Kann sich Wolfgang Niedecken mit Greta Thunberg solidarisieren?
Ich habe ja eben an anderer Stelle schon mal gesagt: „Die Mädels machen das schon!“. Dazu gehört für mich auch Carola Rackete, die jünger als meine beiden Söhne ist, aber die Eier hat, sich mit diesem Salvini anzulegen. Die hat meine absolute Sympathie. Und Greta Thunberg? Was dieses kleine Mädchen in kürzester Zeit mit ihrer „Fridays for future“ Kampagne erreicht hat, finde ich einfach großartig. Das Thema beherrscht seit Monaten die Medien, und die Politiker beschäftigen sich jetzt endlich mal mit dem Klimawechsel.

WO! Nach dem Auftritt in Worms kommt noch Bonn, dann ist erstmal Pause angesagt. Wie werden sich BAP/Wolfgang Niedecken 2021 zurückmelden?
Erstmal 2020 mit einem regulären BAP-Album, vermutlich wird es das letzte sein.

WO! Das heißt, Sie werden danach kürzer treten? Immerhin feiern Sie im gleichen Jahr Ihren 70. Geburtstag….
Das nicht, aber es wird irgendwann keine Alben mehr geben. Junge Künstler hauen heutzutage 2 – 3 neue Songs übers Internet raus und testen die Resonanz. Es sind bei den Plattenfirmen einfach nicht mehr die großen Budgets für Albumproduktionen vorhanden, weil der Tonträgermarkt in die Knie geht. Wir haben ein großes Repertoire und werden mit BAP solange auftreten, bis ich das gesundheitlich nicht mehr kann oder keine Lust mehr habe. Aber das sehe ich im Moment noch nicht.

WO! Um in der heutigen Zeit bei Spotify und Co. in der Playlist zu landen, sollte der Refrain nach spätestens 20 Sekunden kommen und ein Song nicht länger als drei Minuten dauern. Ich gehe davon aus, diese Kriterien haben keinen Einfluss auf Ihr Songwriting, oder?
Ich finde diese Entwicklung grauenhaft . Das ist letztendlich der Tod der Musik. Aber ich habe auch die anderen Zeiten erlebt, von daher ist alles gut. Mir tut es nur leid für die jungen Musiker. Die müssen sich immer mehr anpassen, wenn sie von ihrer Musik leben wollen.

WO! Man hat das Gefühl, jeder Song, der im Radio läuft, hat den gleichen Produzenten…..
Wenn ich ab und zu mal Radio höre, mit diesem immer gleichen „Ohohoho“, denke ich: „Das ist Musik, als hätte es die Beatles, die Stones, Bob Dylan oder die Kinks nie gegeben.“ Das Format bestimmt die Musik. Da wackelt der Schwanz mit dem Hund.

WO! Was war die letzte Platte/CD, die Sie sich gekauft haben?
Das war die Neue von Bruce Springsteen, „Western Stars“. Der Titelsong hat einen tollen Text, gefällt mir sehr gut.

WO! Springsteen wird im Alter nochmal zum Crooner, steht Ihnen das auch noch bevor?
Naja, so richtig zum Crooner wird er ja nicht. Das Album ist eher eine Hommage an die großen Filmmusik-Komponisten.

WO! Es klingt auch wie der Soundtrack von einem Western…..
Also ich mag das Album sehr gerne, andere mögen es nicht so sehr. Viele merken auch gar nicht, wenn da auf einmal ein riesiges Orchester hinter dem Boss steht.

WO! Sie sind großer Bob Dylan Fan und haben ihn auch kürzlich wieder live gesehen. Wie war denn der Meister diesmal?
Ich fand ihn großartig. Der Mann ist 78, sitzt hinter seinem Klavier, kommt zu einer Nummer hervor und ansonsten will er seine Ruhe haben. Zum Glück hat er diesmal die ganzen Sinatra-Songs draußen gelassen. Als ich ihn zu Beginn der Tour in Amerika gesehen habe, war das noch anders. In Düsseldorf hatte er eine sehr mutige Setliste und mehr als die Hälfte stammte von Dylans großartigem Alterswerk. Ansonsten kann der Mann machen, was er möchte. Hauptsache, es geht ihm gut.

WO! Man weiß, Sie sind großer FC-Fan. Erklären Sie doch mal einem Außenstehenden, warum der 1. FC Köln einen Trainer rauswirft, der kurz vor der souveränen Meisterschaft in der 2. Liga steht?
Da habe ich mich, ehrlich gesagt, ein bisschen geschämt. Der Markus Anfang hatte ja bis dahin gute Arbeit abgeliefert und war Tabellenführer. Aber anscheinend wollte der Veh (Sportdirektor Armin Veh, Anm. der Red.) einen anderen Trainer für die erste Liga. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hat man das auch gemerkt…

WO! Wie lautet die Prognose des Experten für die bevorstehende Bundesligasaison des 1. FC Köln?
Es wird schwierig werden, aber wir haben gute Chancen drinzubleiben. Aber mit Vorschusslorbeeren bin ich durch, zumal ich vorher auch das Theater mit Schmadtke und Stöger nicht richtig mitbekommen und erst ganz spät gemerkt habe, was da wirklich ablief. Und dann auch noch die peinliche Spinner-, Schumacher-, Ritterbach-Nummer. Also richtig stolz kann ich auf meinen FC im Moment nicht sein. Der FC spielt sozusagen „auf Bewährung“.

WO! Der 1. FC Köln steigt auf, Wormatia Worms ist gerade in die Oberliga abgestiegen. Welchen Tipp können Sie als leidgeprüfter FC-Fan der Wormatia mit auf den Weg geben?
„Es ist alles nur Fußball.“ Als wir einmal an einem meiner vielen Geburtstage in Mainz aufgetreten sind, haben Jürgen Klopp und seine Jungs mir einen musikalischen Gruß überbracht, nachdem der FC wieder einmal abgestiegen war. Am Schluss sagte der Kloppo: „Aber Herr Niedecken, es ist alles nur Fußball.“ Meistens tut nur der erste Abstieg richtig weh, aber spätestens nach dem sechsten Abstieg entwickelt man eine gewisse Hornhaut, was das angeht.

WO! Sie haben bei dem TV-Format „Sing meinen Song“ mitgemacht und das auch als positive Erfahrung verbucht. Ich würde deshalb zum Abschluss gerne ein Spiel spielen. Ich nenne einen Künstler/Band und Sie sagen mir, welchen Song des Künstlers Sie covern würden.
Oh weh, dann mal los…

WO! Udo Lindenberg?
„Cowboy-Rocker“

WO! Die Fantastischen Vier?
Da kenne ich mich nicht ganz so gut aus. Sicherlich kenn ich „Die da“, aber ob ich das nehmen würde, weiß ich nicht. Vielleicht „MfG“. Man muss dazu sagen, dass ich mich bei „Sing meinen Song“ ausführlich mit dem Repertoire der Künstler beschäftigt habe. Ich bin da nicht einfach losgelaufen und hab mir immer die A-Nummern rausgesucht. Ich muss sagen, dass mir das großen Spaß gemacht hat.

WO! Herbert Grönemeyer? Mit dem waren Sie auch kürzlich auf einem Konzert….
Vielleicht wäre es „Alkohol“ vom „Bochum“-Album

WO! Wolf Maahn? Mit dem hatten Sie auch schon verschiedene Berührungspunkte….
Der Wolf hat mein erstes Soloalbum mit den Complizen, „Schlagzeiten“, produziert. Der müsste eigentlich viel mehr im Rampenlicht stehen. Guter Sänger, guter Texter und Performer. „Rosen im Asphalt“ wäre wahrscheinlich meine Wahl.

WO! Peter Maffay? Auf dessen Unplugged-Tour im letzten Jahr haben Sie in der Lanxess-Arena „Hungry Heart“ und „Verdamp lang her“ zum Besten gegeben…
Richtig gut auskennen tue ich mich in dessen Repertoire nicht.

WO! „Du“ vielleicht?
Naja, das nicht gerade. Zu Zeiten der Leopardefellband habe ich ja mit der halben Band von Maffay und Lindenberg zusammengespielt.

WO! Carl Carlton, Bertram Engel….
Genau. Und Pascal Kravetz und Ken Taylor. Zu dieser Zeit wurde ich gefragt, ob ich die Texte für Maffays nächstes Album schreiben möchte. Das konnte ich zeitlich nicht, aber habe damals den Bernie Conrads von Bernies Autobahn Band empfohlen. Aus dem Album, das danach entstanden ist, würde ich einen Song auswählen (gemeint ist das Album „96“ aus dem Jahr 1996, Anm. der Red.). Bernie Conrads hat wunderbare Texte geschrieben für den Peter, den ich übrigens als zuverlässige und verantwortungsvolle Person sehr schätze.

WO! Bruce Springsteen? Außer „Hungry Heart“, das haben Sie schon des Öfteren gecovert…
Da würde ich eine Nummer nehmen, die nicht so oft gespielt wird: „If I should fall behind“

WO! Vielen Dank für das nette Gespräch, Herr Niedecken!

Das Gespräch führte: Frank Fischer