Auch wenn die Abstimmung im Wormser Stadtrat knapper als erwartet ausgefallen ist, weil sich tatsächlich noch der eine oder andere Kandidat aus den Reihen von SPD und CDU eine „eigene“ Meinung erlaubt hat, ist der Weg frei für den zweiten Entwurf für ein „Haus am Dom“. Die wichtigste Frage lautet aber weiterhin: Wer, außer Domgemeinde und SPD/CDU, möchte denn tatsächlich dieses Bauwerk direkt vorm Wormser Dom?

Oberbürgermeister Kissel zum Beispiel hat sich ganz klar für den zweiten Entwurf für ein „Haus am Dom“ ausgesprochen. Auch der erste hatte ihm schon gefallen, obwohl man nicht so genau weiß, ob aus Gründen der Ästhetik oder weil er der Domgemeinde dankbar ist, dass man sich bei Festivitäten wie den Nibelungen Festspielen oder „Jazz & Joy“ so kooperativ zeigt. Eine derart gute Zusammenarbeit möchte man ungern aufs Spiel setzen wegen einem schnöden Bauwerk, das eine historische Baulücke schließen soll, aber längst zu einem Ärgernis für viele Wormser geworden ist. Nachdem der erste Entwurf einen nie gekannten Sturm der Entrüstung losgetreten hatte (lesen Sie dazu auch im Jahresrückblick auf S. 24 „Streitthema des Jahres“), sollte der zehn Monate später nachgeschobene Kompromissentwurf der Domgemeinde erst gar keine Zweifel an der Umsetzung mehr aufkommen lassen. Da wurde mit kleinen Baumodellen gearbeitet, wohlwissend, dass die Vorstellungskraft vieler nicht ausreicht, um sich das Ganze im Originalmaßstab ausmalen zu können. Nebenbei leistete sich der Aufsichtsratsvorsitzende der Domgemeinde noch einen ungeheuerlichen Betrugsvorwurf gegenüber den Vertretern der Bürgerinitiative „Kein Haus am Dom“, als er ihnen bei der Präsentation des neuen Entwurfs öffentlich vorwarf, mit falschen Zahlen operiert zu haben. Bei einer Nachzählung der Unterschriften sei man nicht einmal auf 10.000 gekommen – geschweige denn 16.000. Diesen Vorwurf der Manipulation musste die BI wieder geraderücken, Dr. Martin Scheugenpflug zählte nach und bestätigte notariell, dass sogar 16.635 Unterschriften vorlagen, mit denen die Unterzeichner fordern, dass die Südseite des Wormser Kaiserdoms komplett frei bleiben soll. Wahrscheinlich war dieser massive Widerstand Anfang des Jahres auch der Grund, warum man bei dem im November präsentierten zweiten Entwurf auf eine Darstellung aus der Fußgängerperspektive verzichtet hat. Bis heute übrigens, so dass sich die BI genötigt sah, selbst ein Bild anzufertigen, das zwar nicht professionell aussieht, aber zumindest die Dimensionen des Bauwerks aufzeigt, denn auch der neue Entwurf verdeckt den Dom nicht unerheblich, statt einem Flachdach gäbe es halt diesmal ein Giebeldach. Trotzdem durfte man wochenlang lesen, dass die Wormser mit dem neuen Entwurf einverstanden wären. Eine Zustimmung, die jedoch hauptsächlich auf dem Papier existierte, genau genommen auf dem der Wormser Zeitung, über deren Berichterstattung man sich ein ums andere Mal etwas wundern konnte. Da wurde einerseits von der Zustimmung aus der Bevölkerung berichtet, aber ein paar Seiten weiter jede Menge Leserbriefe abgedruckt, die sich mehrheitlich gegen eine Bebauung aussprachen. Spätestens da musste man sich fragen, ob der von Domprobst Prieß gebetsmühlenartig wiederholte Stimmungsumschwung tatsächlich stattgefunden hatte?

Gestiegene Kosten
Was die Kosten angeht, wäre der zweite Entwurf sogar noch einmal ein gutes Stück teurer als der erste und würde mit 4,5 Millionen Euro (vorher: 3,5 Mio.) zu Buche schlagen. Kosten, die alleine die Domgemeinde, mit Unterstützung des Bistums Mainz, zu tragen hätte. Wie CDU-Stadtratsmitglied Raimund Sürder, der sich als einziger aus den Reihen von SPD und CDU frühzeitig gegen das Bauprojekt ausgesprochen hatte, in einem eigens gedrehten Video, das schnell bei Facebook die Runde machte, ausführlich beschrieben hat,

„müssen Rechtsgeschäfte in der katholischen Kirche, die mehr als fünf Millionen
Euro Kosten verursachen, vom Papst genehmigt werden. Mit der
Anzeigepflicht will der Vatikan eine Überschuldung der Bistümer verhindern.“

Da jedoch der neue Papst Franziskus als äußerst bescheiden und gewiss nicht so prunksüchtig wie die meisten seiner Vorgänger gilt, liegt der Verdacht nahe, dass man deswegen die notwendige Sanierung des Liobahauses, sowie den Neubau am Dom, in zwei verschiedene Bauprojekte gesplittet hat, obwohl es sich „eigentlich“ um eines – „Neugestaltung des Kreuzganges“ – handelt? Von daher wird es nicht bei 4,5 Mio. bleiben, im Endeffekt wird man wohl bei Gesamtkosten von mindestens 7 Millionen Euro landen. Für Mehrkosten könnte Architekt Springer sorgen, dem gerade erst im Mai 2012 von der Festspielstadt Wunsiedel vorzeitig der Vertrag gekündigt wurde, weil man befürchtete, dass die Kosten für den Umbau des Luisenburgtheaters aus dem Ruder laufen würden. Ebenso wie in Worms hatte das Berliner Architekturbüro „Heidenreich & Springer“ in Wunsiedel einen vorab durchgeführten Wettbewerb gewonnen. Aber egal, ob man am Ende nun 7,8 oder 9 Millionen Euro zahlen muss, sollte doch zumindest die Frage gestattet sein, warum eine mit Mitgliederschwund zu kämpfende Institution so viel Geld für ein neues Gemeindehaus und ein Café am Dom investieren will? Damit könnte man für die nächsten 100 Jahre Sonntag für Sonntag das nur knapp 200 Meter Luftlinie entfernte Wormser Kultur-und Tagungszentrums anmieten. Ganz abgesehen von der Frage, ob man mit dem offensichtlich vorhandenen Kapital nicht etwas Sinnvolleres anstellen könnte. Anstatt einen von Vielen unerwünschten Protzbau vor den Dom zu pflanzen, hatte z.B. Raimund Sürder vorgeschlagen, sozial notwendige Aufgaben (Kindertagesstätten, Obdachlosen-Fürsorge, Familienbetreuung, Seniorenheime, …) mit diesem Geld zu finanzieren.

Denkwürdige Stadtratssitzungen
Aber trotz allen Widerstandes aus der Bevölkerung, ist es zunächst mal alleinige Sache der Domgemeinde, ob sie besagtes Gebäude auf ihrem eigenen Grundstück baut. Da jedoch die FWG Bürgerforum den Protest der Wormser aufgegriffen und das Thema mit der Forderung nach einer Veränderungssperre in den Stadtrat getragen hat, lag es Mitte Dezember in der Hand der Stadtführung, den zweiten Entwurf für ein „Haus am Dom“ noch zu verhindern. In zwei denkwürdigen Stadtratssitzungen, in denen OB Kissel wirklich alle Register gezogen hat, um das Projekt durchzuboxen, gelang dies jedoch nicht. Dabei demonstrierte auch Jens Guth (SPD), dass er etwas von seinem obersten Chef Sigmar Gabriel gelernt hat. Der ließ bekanntlich 56.000 SPD-Mitglieder stellvertretend für 83 Millionen Deutsche darüber abstimmen, ob seine Partei in den nächsten vier Jahren zusammen mit der CDU unser Land verschandeln darf. Jetzt, so Guths Vorschlag, sollten 5.000 Mitglieder der Domgemeinde darüber befinden, ob fortan das Stadtbild von 80.000 Wormsern verschandelt wird. Interessanter Gedanke, der aber keine Zustimmung fand. Ebenso wenig wie die Forderung der kleinen Fraktionen – FDP, FWG/Bürgerforum, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke – eine Bürgerbefragung durchzuführen. Gleichwohl war bereits ein größerer Widerstand, auch in den Reihen von Rot-Schwarz, zu spüren, als noch eine Woche zuvor. Dementsprechend endete die Abstimmung, ob der aktuelle Entwurf die Zustimmung des Stadtrates findet, mit 30 zu 15, weil sich Jens Guth und Patricia Sonek von der SPD zu Raimund Sürder (CDU) und den kleinen Fraktionen gesellt hatten. Zudem gab es vier Enthaltungen aus den Reihen der Sozialdemokraten. Da jedoch die überwiegende Mehrheit aus SPD und CDU dafür stimmte, ist der Weg für die Domgemeinde aus politischer Sicht nun frei. Ob die rot-schwarze Mehrheit damit tatsächlich dem Willen ihrer Bürger entsprochen hat oder einfach nur der Order ihres dominanten Oberbürgermeisters gefolgt ist, spielt rückblickend keine Rolle mehr, denn irgendwann muss man sich auch mal mit einer demokratischen Abstimmung abfinden, schließlich sitzen im Stadtrat nur Leute, die zuvor auch von den Wormsern gewählt wurden. Dass der Neubau die Bürgerschaft spalten wird, dürfte unbestritten sein. Aber damit kennen sich Politik und Kirche ja bestens aus.