Wie sich die mediale Welt im Jahr 2023 entwickelt hat

Wir leben aktuell in einer Zeit, in der sich eine öffentliche Person jedes Wort genau überlegen muss, bevor man den nächsten Shitstorm lostritt. Wer sich in der medialen Welt bewegt, muss sich als Teil der heutigen politischen Kultur in erster Linie moralisch unangreifbar verhalten, mit dem daraus resultierenden Drang, nur das einzig Richtige zu fühlen, zu denken oder gar öffentlich zu äußern. Wobei es von gewissen Kreisen schon vermessen genug ist, überhaupt beurteilen zu wollen, was moralisch unangreifbar ist.

Als Thomas Gottschalk am 25. November 2023 Abschied von der ZDF-Show „Wetten dass“ nahm, nutzte er seine Abschiedsworte für eine Abrechnung mit der heutigen medialen Welt, in der er anders reden müsse als zuhause. Bevor ein verzweifelter Aufnahmeleiter hin- und herrenne und sage: „DU HAST WIEDER EINEN SHITSTORM HERBEIGELABERT“, sage er lieber gar nichts mehr. In einem BILD-Interview legte GOTTSCHALK nach: „DIE GEFAHR MISSVERSTANDEN ZU WERDEN, IST BEI MIR EINFACH IRRE HOCH. WEIL ICH DINGE SO UNGEFILTERT SAGE, WIE SIE MIR EINFALLEN. HEUTE MUSST DU IN DEINE GEDANKEN IMMER SICHERHEITSFILTER EINBAUEN, DAMIT SIE DIR NICHT UM DIE OHREN KNALLEN. UND AUCH DIESER FILTER SCHAFFT WIEDER INTERPRETATIONSSPIELRAUM, DEN MAN EIGENTLICH GAR NICHT HABEN WILL.“

Wenige Stunden zuvor hatte die Rapperin Shirin David auf Gottschalks Couch Platz genommen und musste sich die Verwunderung des Moderators anhören, dass „EINE WIE SIE“ auf Opern und Operetten stehe. Das wiederum nutzte David, um dem alles andere als woken Moderator mit einer kurzen Abhandlung zum Thema Feminismus die Leviten zu lesen. Mit ihrer Reaktion bestätigte Shirin David genau das, was Gottschalk bei seinen Abschiedsworten sagte, dass man heutzutage jedes Wort auf die Goldwaage legen müsse, um keinem auf den Schlips zu treten. Denn natürlich hatte die Aussage nichts mit ihrer Rolle als Frau zu tun, sondern eher damit, dass es für eine Rapperin ungewöhnlich ist, in der Freizeit klassische Musik zu hören. Trotzdem reichte dieser kurze Dialog, um einen Shitstorm los- zutreten, dass so ein Verhalten – wie das von Gottschalk – heutzutage nicht mehr ginge. Und schon war Gottschalk wieder einmal der alte, unbelehrbare Mann, der einfach nichts dazulernen will.

EVERYBODYS DARLING NUN AUCH EIN ANTISEMIT?

Den Bannstrahl der Cancel Culture traf im letzten Jahr auch den Philosophen Richard David Precht, der früher als Vorzeigeintellektueller durch die deutschen Talkshows gereicht wurde, bis er es sich mit Kritik an der Corona-Politik und einem medienkritischen Buch mit der Politik und den Medien verscherzt hatte. Im Jahr 2023 fiel Precht dann auch noch durch kritische Äußerungen zu den Waffenlieferungen in die Ukraine und der Arbeit von Annalena Baerbock auf. Das mediale Fass zum Überlaufen brachte eine unbedachte Äußerung in seinem Podcast mit Markus Lanz, als PRECHT in Bezug auf die ultra- orthodoxen Juden die verkürzte Aussage traf, diesen sei es ja „DURCH IHRE RELIGION VERBOTEN ZU ARBEITEN – AUSSER IM FINANZWESEN ODER IM DIAMANTENHANDEL“.

Tatsächlich erlaubt die strenge Auslegung des ultraorthodoxen Judentums zwar Arbeit zur Existenzsicherung, aber nicht zur Erlangung weltlicher Güter. Precht erkannte seine Falsch- aussage, entschuldigte sich und korrigierte die Aussage. Erstaunlich war jedoch, wie sich Politik und Medien auf Precht einschossen und vom ZDF eine Einstellung des Podcast von Lanz und Precht forderten. Seine Honorarprofessur an der Uni Hamburg musste Precht nach Protesten des Studentenparlaments niederlegen. Eine Lesung Prechts in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel wurde abgesagt, weil in dem Saal nebenan ein israelischer Musiker auftrat. Offensichtlich reichte eine einzige Falschaussage, um Precht Antisemitismus zu unterstellen.

CANCEL CULTURE TRIFFT AUCH SATIRE

Die Cancel Culture Keule traf im Jahr 2023 aber auch Kabarettisten und Comedians. Immer öfters nehmen Faktenchecker deren Comedy-Programme auseinander, ohne zu verstehen, dass auch die bewusste Überspitzung und Polemisierung klassische Mittel der Satire sind. Da wurden Komiker auf mitunter jahrzehntealte Witze festgenagelt und in die rechte Ecke geschoben. Wer heutzutage nicht woke ist, hat schnell die Moralwächter am Hals. Kurt Tucholsky, der die Frage „Was darf Satire?“ gestellt hat, wird sich in Anbetracht dieser Entwicklung im Grab rumdrehen. Die Zeiten, als Kabarett gegen den öffentlichen Mainstream gerichtet war, scheinen vorbei zu sein, was dazu führt, dass unbequeme Comedians in den Feuilletons als nicht mehr zeitgemäß gebrandmarkt werden.

Damit führt man Satire ad absurdum, weil diese schon immer gegen die Mächtigen gerichtet war und nicht darin bestand, mit der Masse zu schwimmen – so wie das  vermeintliche  Satiresendungen  wie  die „Heute Show“ tun. Aber kaum verlässt ein Kabarettist die vorgegebene politische Linie, werden die kritischen Rufe laut und es werden nicht nur die Inhalte, sondern am besten gleich noch die Integrität der Personen infrage gestellt. Auch DIETER NUHR ist es schon so ergangen, der im letzten Jahr gesagt hat: „SO FUNKTIONIERT CANCEL CULTURE HEUTE: WENN DER FEIND NICHT ENTFERNT WERDEN KANN, MUSS MAN IHN LANGSAM ABER SICHER DURCH DAUERHAFTE BEARBEITUNG NACH RECHTS AUS DEM DISKURSRAUM HINAUSSCHIEBEN…“ Erstaunlich hierbei ist lediglich, dass sich der mediale Aufschrei in Grenzen hielt, als plötzlich die Gallionsfigur der „Fridays für Future“ Bewegung, Greta Thunberg, Klimademonstrationen dazu nutzte, um sich ganz offen antisemitisch zu äußern. Das wollte vermutlich nicht zu dem linken Zeitgeist der Medien passen.

 

Text: Frank Fischer