Keine Zeit zu haben, ist heute allzu oft zu hören und meist eine bequeme Ausrede, um eine x-beliebige Einladung abzulehnen. Das hat oft auch für den Absagenden einen negativen Effekt. Nämlich, wer solche Ausrede zu oft von sich gibt, glaubt es schließlich selbst (Autosuggestion). Und es scheint mir, dass darüber hinaus die allgemeine Meinung besteht, man habe immer weniger freie Zeit. Also die Zeitgenossen finden somit nicht mehr Zeit zum Genießen(?). Wo aber Menschen wirklich unter Zeitmangel leiden, dürfte es gewöhnlich an schlechter Einteilung liegen.
Demgegenüber besteht die Tatsache, dass der heutige Mensch so viel freie Zeit und so wenig Arbeitszeit hat, wie niemals zuvor. Zum Beispiel beträgt diese heute meist nur noch 35 Stunden in der Woche, wo vor hundert Jahren 60 die Regel war. Also hat Otto Normalverbraucher jetzt 25 Stunden mehr Zeit für sich als damals. Hinzu kommt ein weiterer Gewinn an Freizeit durch moderne Techniken an fast allen Orten und Plätzen. Für den Weg von und zur Arbeit haben wir das Auto oder schnelle Bahnen und Busse. Im Haushalt nimmt uns die Waschmaschine die schwere und zeitraubende Arbeit von früher praktisch ganz ab. Trotzdem bleibt die Klage über Zeitmangel hartnäckig bestehen. Selbst der letzte Faulenzer prahlt, keine Zeit zu haben.
Und was macht der Mensch heute mit all der gewonnen Zeit? Er langweilt sich gewaltig und weiß nicht, was er anfangen soll. Er greift nach allem, was die mächtige Unterhaltungsindustrie zu bieten hat. Statt sich selbst zu unterhalten, braucht er professionelle Unterhalter, ohne die er nicht mehr leben kann. So war gerade aus den FS-Nachrichten zu erfahren, dass der Durchschnittsbürger täglich 4 Stunden Fernsehen konsumiert, der Jugendliche aber bis zu 3 Stunden das Handy braucht. Und trotzdem wird weiter behauptet, man habe keine Zeit. Nochmal zu der oben erwähnten Langeweile, die viele Heutige plagt, obwohl doch alle keine Zeit mehr haben. Soeben konnte ich wieder im Wartezimmer des Arztes beobachten, wie nahezu alle da saßen und dösten. Nur zwei blätterten in billigen Zeitschriften herum, ohne wirklich etwas zu lesen. Wie ich nun diese „Totzeit“ genutzt habe, darf ich nicht schreiben -, sagt meine Frau, es könnte angeberisch wirken. Und das habe ich nicht nötig.
Und noch ein Missstand ist hier zu erwähnen. Es ist der Alkohol, wovon gestern in der Tageszeitung berichtet wurde. Da hieß es, dass wir Deutschen Weltmeister seien. Jedoch nicht beim Fußball, sondern beim Konsum von Bier und Wein. Die Statistik sagt, dass knapp jeder Zehnte mehr oder weniger alkoholabhängig ist. Also vertreibt man seine schöne Zeit größtenteils mit Alkoholkonsum. Wie Wilhelm Busch schon sagte: „Es ist ein Brauch von alters her, wer Sorgen hat, hat auch Likör.“ – Offenbar haben wir Deutschen sehr viel Sorgen…
Was können wir aus den oben geschilderten Übeln lernen? – Leider muss ich aus den Erfahrungen eines langen Lebens sagen: eigentlich gar nichts! Klügere Menschen haben nicht erst mit so schweren Fehlern begonnen. Und „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“. Allerdings vermag, wer einsichtig und energisch genug ist, doch später noch das Ruder herum zu reißen. Das sei auch noch zum Schluss gesagt, zumal gewöhnlich die Mahner und Warner getadelt werden, die Übeltäter jedoch selten oder nie. Dazu heißt es bei Theodor Fontane: „Wer je mir brächte die Kund‘, er ist tot, der müsste sterben zur selben Stund´.“ (Aus Gorm Grimme).
Wieder soll Wilhelm Busch das letzte Wort haben:
„Eins, zwei, drei im Sauseschritt eilt die Zeit, wir eilen mit.“
Freundliche Grüße,
Ihr Heinz Dierdorf