Dauerlesung „Victor Klemperer: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“ mit Karl-Heinz Deichelmann
17. bis 19. September 2021 | Backfactory Worms:
Es war eine ganz besondere Lesung, zu der der in Worms bekannte Schauspieler und Rezitator Karl-Heinz Deichelmann einlud. Dieser stellte sich der Herausforderung, an drei Tagen zu je zwölf Stunden aus den Tagebüchern des jüdisch-deutschen Literaturwissenschaftlers Victor Klemperer vorzulesen.
Das ehrgeizige Projekt war dabei Teil der SchUM-Kulturtage und des Pop-Up-Festivals. Ganz der Tradition des alternativen Festivals verpflichtet, wählte man als Ort der Lesung eine leerstehende Gewerbeimmobilie inmitten der Innenstadt, genauer gesagt die Räume der ehemaligen Backfactory in der Wilhelm-Leuschner-Straße. Das Umfeld der Lesung war dementsprechend karg und nüchtern. 25 Plastikstühle boten Platz für ebenso viele Zuhörer. Die Bühne, ein kleines Holzpodest, auf dem ein Tisch und ein Stuhl standen, sowie rechts daneben ein Würfel, beschriftet mit der Jahreszahl, die die Lesung zeitlich verortete. Victor Klemperer hielt seit seinem 17. Lebensjahr seine Eindrücke und Gedanken schriftlich fest. 1995 wurden Klemperers Tagebücher aus der Zeit von 1933 bis 1945 veröffentlicht und avancierten zum Bestseller. Zudem sind seine nüchternen und aufmerksamen Beobachtungen ein eindrucksvolles Zeitdokument, das auf leise und subtile Art den Terror des Nazi-Regimes begreifbar macht. Konzentriert lauschten dementsprechend die Zuhörer, deren Anzahl im Laufe des Wochenendes immer wieder schwankte. Im Gespräch mit WO! erzählt der Rezitator, dass es vereinzelt Gäste gab, die sogar das Buch selbst dabei hatten, eine Zeitlang mitlasen und schließlich wieder gingen oder auch Tränen in den Augen hatten. Nicht nur für die Zuhörer war dabei das Eintauchen in diese triste Welt der Gewalt und Hoffnungslosigkeit eine Herausforderung. Auch Deichelmann merkte im Gespräch an, dass es insbesondere in den Abendstunden immer wieder Passagen gab, die ihm trotz Textkenntnis emotional sehr nahe gingen.
Fazit: Es war eine Lesung der Kontraste. Während an einem sonnigen Wochenende die Menschen unbeschwert durch die Fußgängerzone flanierten, entführte Deichelmann mit dieser großartigen Lesung in eine Welt des Schreckens, die so lange noch gar nicht her ist.