Es hätte ein echter Neuanfang geben können an diesem Mittwoch im Wormser Stadtrat. Erstmals nach der Sommerpause trat der neue Stadtrat zusammen, um gemeinsam wegweisende politische Entscheidungen zu treffen. Nach der Amtseinführung Adolf Kessels am 1. Juli war es auch dessen Debüt, nach 16 Jahren Michael Kissel nun die Sitzung zu führen. Hinzu kam, dass die beiden größten Fraktionen in der Sommerpause eine Neuauflage ihrer intensiven Zusammenarbeit ankündigten. Auch hier fielen Worte wie „Neuanfang“ und das gemeinsame Entwickeln eines „Worms Plans“.

Doch dann kam der Landesrechnungshof und stellte die Fraktionen und auch den neuen Oberbürgermeister vor die erste große Herausforderung dieser Legislaturperiode. Der Rechnungshof, mit Hauptsitz in Speyer, ist eine unabhängige Institution des Landesrechtes, der die Aufgabe hat, die Haushaltsführung von Gemeinden zu überprüfen – auch die von Worms. Dass Worms rechnerisch pleite ist, dürfte hinreichend bekannt sein, weshalb auch die Aufsichtsbehörde ADD regelmäßig Einsparungen fordert. Mit dem Sparen tut man sich allerdings schwer in Worms und verweist gerne in diesem Zusammenhang auf die Unterfinanzierung durch Bund und Länder. Gespart wird höchstens am Personal, was mittlerweile zu Engpässen in vielen Bereichen führt. In Sachen Personal fiel dem Rechnungshof schließlich ein Vorgang auf, der aufhorchen ließ. In einem Schreiben an den Oberbürgermeister Adolf Kessel stellte die Behörde fest, dass sich in Worms der Stadtvorstand aus drei hauptamtlichen und einem ehrenamtlichen Beigeordneten mit Geschäftsbereich zusammensetzt und verwies darauf, dass die deutlich größeren Städte Kaiserslautern, Trier und Koblenz lediglich drei hauptamtliche Beigeordnete beschäftigen. Grundsätzlich räumt die Gemeindeordnung ein, dass Städte über 80.000 Einwohner vier Beigeordnete besetzen können. Nun könnte man auch sagen: Ist ja nicht so schlimm, schließlich ist der vierte im Ehrenamt und bekanntermaßen bekommt man hierfür nur eine Aufwandsentschädigung. Doch Ehrenamt ist nicht gleich Ehrenamt. Im Falle des ehrenamtlichen Beigeordneten im Wormser Stadtvorstand kostet das den Bürger 41.100 Euro im Jahr. Betroffen ist von diesem Schreiben die lang verdiente Stadträtin Petra Graen, CDU, die seit 2014 als ehrenamtliche Beigeordnete Mitglied des Stadtvorstandes ist und nun zur Wiederwahl bereit stand. Da der Rechnungshof davon wusste, richtete man sich mit der Bitte an die Stadt, dass man ihr im Falle einer Wiederwahl keinen Geschäftsbereich zuweise. „Ein Ehrenamtlicher ohne Geschäftsbereich verursacht einen um mehrere tausend Euro geringeren Aufwand (…)“, heißt es in dem Schreiben. Als Geschäftsbereich zugeordnet wurde ihr von Seiten des Rechnungshofs der Bereich Touristik mit insgesamt sieben Mitarbeitern. Das sei wirtschaftlich nicht vertretbar, erklärte die Behörde.

EMOTIONEN STATT SACHLICHEN AUSTAUSCHS

Was tun? Etwa einer beliebten Kollegin sagen, dass es leider finanziell nicht mehr möglich ist, sich diesen Luxus zu leisten? Oder das Schreiben ignorieren und einfach so weitermachen wie bisher? Schließlich gibt es ja das kommunale Selbstverwaltungsrecht. Frei nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“, setzte der neue Oberbürgermeister das Thema gleich an den Beginn seiner ersten Sitzung. Zuvor stellten „Die Grünen“ einen Antrag, dass diese Stelle gestrichen wird. Als Kessel auf das Schreiben einging, war es ihm zunächst wichtig, darauf hinzuweisen, dass dem Rechnungshof ein peinlicher Fehler unterlaufen sei. Dieser bezog sich auf den zugeteilten Geschäftsbereich. Statt für nur einen Bereich ist Frau Graen tatsächlich noch für den Wormser Flugplatz (6 Mitarbeiter) und die Kultur- und Veranstaltungs GmbH (KVG / 56 Mitarbeiter) zuständig. Anstatt diesen Zuschnitt zu hinterfragen und zu diskutieren, zeigte sich schnell im Stadtrat eine Emotionalisierung dieses Themas. Kaum einer wurde müde zu betonen, dass Frau Graen eine hochgeschätzte Kollegin sei, die gute Arbeit leiste. Doch darum geht es nicht, sondern um die Frage, ob es in Hinblick auf die klammen Kassen vertretbar ist, sich eine solche Stelle zu leisten. Es drängte sich schnell der Verdacht auf, dass man eine Position, mit der man ein Gesicht verbindet, im Gegensatz zu anonymen Stellenplänen, offenbar nur ungern streicht. Interessant ist auch der Umstand, dass Frau Graen durch ihre Wiederwahl einen Anspruch auf einen Ehrensold hat, also Pensionsansprüche, da man hierfür zehn Jahre als ehrenamtliche Beigeordnete tätig gewesen sein muss.

EIN KONZEPT ALS JOBGARANTIE

Auch ein Blick auf die Geschäftsbereiche von Frau Graen wirft Fragen auf. Warum wird der Flugplatz nicht dem Dezernenten zugordnet, der bereits für den Hafen zuständig ist? Das wäre Hans Joachim Kosubek, CDU. Und warum gehört Tourismus in Worms nicht zu dem Bereich Wirtschaftsförderung? Hierfür ist eigentlich Adolf Kessel zuständig. Dieser ist auch für die Nibelungenfestspiel gGmH zuständig, die wiederum viele Überschneidungen mit der KVG aufweist. Im Übrigen ist wiederum die Besetzung im Gesellschafterausschuss deckungsgleich, nur eben nicht die Verantwortlichkeit des Dezernenten. Als Hauptargument diente vielen Stadträten in dieser Sitzung, dass Petra Graen, gemeinsam mit der Hochschule, an der Entwicklung des in diesem Jahr vorgestellten Tourismuskonzeptes beteiligt war und nun auch die Umsetzung betreuen solle. Das klingt im ersten Moment schlüssig, aber nach dieser Logik dürfte niemals irgendjemand personell ausgetauscht werden, der irgendeine langfristige Tätigkeit verfolgt. Auch Kissel führte als Argument für seine Wiederwahl an, diverse Projekte in Gang gesetzt zu haben, die er nun beenden möchte. Demnach müsste Michael Kissel noch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag als OB tätig sein. Frau Graen wurde letztlich mit 32 Stimmen gewählt, Die Grünen und die FWG/Bürgerforum Worms stimmten dagegen (elf Stimmen) und neun enthielten sich. Nun hat Frau Graen die Chance zu zeigen, wie sie Worms in ein Touristenzentrum verwandelt. Der neue Stadtrat hat wiederum die Chance verpasst, den Wormsern zu zeigen, dass ein Neunanfang auch vor den eigenen Reihen nicht Halt macht.

PS: Wir wollen an dieser Stelle natürlich nicht unterschlagen, dass mit der Wiederwahl von Petra Graen zugleich der 21-jährige Benedict Schulz an ihre Stelle im Stadtrat nachrückte. Dieser verpasste bei der Kommunalwahl mit gerade mal 18 Stimmen den Direkteinzug in den Ratssaal. Schulz nahm noch in der selben Sitzung seine Ernennung an und freute sich hinsichtlich des frischen Windes, den er in den Wormser Stadtrat bringen möchte.