Akteure der Gruppen „Runder Tisch Demokratie“ treffen sich mit „Spaziergängern“ zum Dialog
Anfang September fragte eine Person in einer der größten Wormser Facebook Gruppen, „Worms – Meine Stadt“, ob montags eigentlich noch demonstriert würde? In den ersten Kommentaren schlug ihr Unverständnis entgegen. Es wurde die Frage gestellt, warum man eigentlich im Moment noch demonstrieren sollte? Ein Blick in den Alltag Deutschlands könnte gleich mehrere Gründe ergeben, warum man derzeit das Verlangen verspüren könnte, ausgerechnet montags zu demonstrieren – oder sagen wir es so: spazieren zu gehen.
Um die Antwort kurz zu machen: Ja, tatsächlich finden seit Mitte Dezember in Worms jeden Montag diese Spaziergänge statt. In den Sommermonaten, in denen von Corona Maßnahmen nichts mehr zu spüren war, mit einer deutlich kleineren Beteiligung. Zwischenzeitlich steigt die Zahl wieder und längst konzentriert sich der Protest nicht nur auf Corona, sondern auch auf die gegenwärtige Energiepolitik, die droht, Deutschland in ein Armenhaus zu verwandeln. Sich dessen bewusst, dass die Treffen am Montag einen deutlichen Zulauf in diesem Winter bekommen könnten, lud Bürgermeisterin Stephanie Lohr Vertreter der „Spaziergänger“ dazu ein, gemeinsam mit Vertretern des „Runden Tisch Demokratie“ über den Sinn und Unsinn von diesen montäglichen Spaziergängen zu diskutieren. Zwanzig Wormserinnen und Wormser, die nunmehr seit einem Dreivierteljahr auf die Straße gehen, traten aus dem Schatten selbiger hervor, um mit Bürgermeisterin Stephanie Lohr, Pfarrer Volker Fey und Agnes Denschlag, vertretend für den Runden Tisch Demokratie, über ihre Beweggründe zu reden. Die Ablehnung der Corona Maßnahmen ist dabei der Kitt, der völlig unterschiedliche Leute zusammengebracht hat. Ein Blick in die Gruppe der Wormser Spaziergänger bei diesem Treffen verrät, es sind Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Von der einfachen Angestellten, die ihren Arbeitsplatz in Folge der Maßnahmen verloren haben, über Menschen, die Kritik an den staatlichen Corona Bekämpfungsmaßnahmen üben, bis hin zu Mitarbeitenden aus dem Gesundheitssektor, die die Impfpflicht ablehnen.
Bürokratie vs. Grundrecht auf Meinungsäußerung?
Dass Pfarrer Volker Fey diese Form des Protestes ablehnte, daraus machte der in Worms bekannte Theologe im vergangenen Winter keinen Hehl. Als die Gruppe „Wir sind Worms“ eine Menschenkette organisierte, erklärte er der Wormser Zeitung gegenüber, dass die Mitglieder dieser Initiative erschüttert darüber seien, „dass sich Worms in den letzten Wochen zunehmend zu einer Anlaufstelle für Hunderte von sogenannten ,Spaziergängern’ entwickelt hat“. Aber ist das so? Bürgermeisterin Stephanie Lohr war sich bereits früh dessen bewusst, dass auch diese Menschen ein Teil von Worms sind. WO! gegenüber erklärte Lohr: „Gerade zu Beginn der Spaziergängerbewegung wurde die Wormser Gruppe schnell klassifiziert und pauschal verurteilt. Was auch seinen Grund darin hatte, dass die Spaziergänge gerade keine angemeldete Versammlung waren, Plakate und Meinungsäußerungen wurden daher konsequent unterbunden. Die Meinung basierte damit auf der Berichterstattung aus anderen Städten, in denen rechte Gruppierungen zu den Versammlungen aufgerufen hatten und den allgemeinen Mutmaßungen, die es zu den Spaziergängern gab.“ Lohr weiter: „In den ersten Wochen, war ich gemeinsam mit unserer Ordnungsbehörde und der Polizei bei den Spaziergängen anwesend und konnte mir ein Bild von der Situation machen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es sich dabei um einen rechten Aufzug handelt. So gab es auch keine Ausschreitungen oder Gewaltszenen wie in anderen Städten. Wären die Treffen angemeldet worden, hätten wir sie als Versammlungsbehörde genehmigt.“ Doch auch zukünftig möchten die anwesenden Bürger/innen die Proteste nicht anmelden und verweisen auf den heterogenen Charakter der Gruppe und ebenso auf das Grundgesetz. Dort heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (…).“ Und dort ist eben nicht die Rede von einem bürokratischen Procedere des Anmeldens. Das mag spitzfindig erscheinen, aber nachvollziehbar.
Wie geht es weiter im Herbst?
In seiner oftmals robusten Art erklärte der bekannte Politiker Wolfgang Schäuble: „Soziale Unruhen machen Gas nicht billiger“, während Innenministerin Nancy Faeser bereits im Sommer warnte, dass sich jeder, der an Protesten im Herbst beteiligt ist, mit rechten Gruppen gemein mache. Eine gewagte These. In Worms blieb die Unterwanderung durch rechte Gruppen, Reichsbürger oder radikale Querdenker aus. Das heißt freilich nicht, dass nicht welche dagewesen wären. Aber reicht die Kontaktschuld, um Menschen einem bestimmten politischen Spektrum zuzurechnen? Müssten sich dann nicht auch Demonstrationen gegen rechte Gruppen von der Unterwanderung durch linksextreme Gruppen distanzieren? Werden diese Gruppen nicht sogar entschuldigt, weil sie immerhin für die richtige Sache die
Vorgärten unbeteiligter Bürger/innen verwüsten und Polizisten mit Steinen bewerfen? Dennoch steht die Frage im Raum, wie geht es mit jenen Menschen weiter, die vermeintlich unpopulären Themen auf die Straße treibt. Lohr dazu: „Ich möchte dazu beitragen, dass wir in der Stadt mehr miteinander diskutieren und sich mehr Menschen in die politische Meinungsbildung mit Ideen und Impulsen einbringen. Mit den Demokratietischen im Rahmen des Projekts Demokratie Leben haben wir bereits einen guten Anfang hier in Worms gemacht, den es nun auszubauen gilt.“ Lohr sieht aber auch die Politik in der Verantwortung: „Dank dem Internet hat heute jeder Mensch die Möglichkeit, in Echtzeit Krisen und Katastrophen auf der ganzen Welt mitzuerleben. Dass der Staat hier sofort immer die richtige Lösung parat hat, ist eine Utopie. Aus diesem Grund brauchen wir andere Formen der Kommunikation, um politisches Handeln zu erklären, aber auch mehr Mut und Verständnis im Umgang mit Fehlern.“ Für die „Spaziergänger Gruppe“ ist diese Form des Austauschs schon ein richtiger Schritt. So erklärte einer aus der Gruppe gegenüber WO!: „Wir haben sachlich, respektvoll und konträr diskutiert, gestritten, uns ausgetauscht (…). Verbunden mit der Diskussion ist aber auch die Hoffnung, dass man die vermeintliche Gegenseite zum Nachdenken angeregt habe. Ein erster Schritt in Sachen Dialog ist auf jeden Fall gemacht. Geplant ist, dass diese Gespräche auch im Oktober fortgesetzt werden und der Teilnehmerkreis erweitert wird.
Text: Dennis Dirigo, Foto: Andreas Stumpf