Man staunt, wenn man etwas erfährt, das ungewöhnlich, übergroß, sehr klein oder unbegreiflich ist. Man kann über etwas staunen, das schlecht oder neutral ist. Und, natürlich, über alles, was gut ist. Über Letzteres soll heute hauptsächlich oder nur die Rede sein. Zunächst eine kleine Feststellung. Wie ich zu sagen pflege: Mit Staunen fängt das Denken an. Selbstverständlich kann man aber auch, ohne vorher gestaunt zu haben, denken.
Jetzt gleich zu der Titelfrage, ob Staunen überflüssig und nutzlos sei. Dieses möchte ich sofort verneinen. Bekannt ist vielleicht noch der Begriff vom „kindlichen Staunen“, was eine natürliche und wohl unverzichtbare Sache ist. Das aber sollte nicht bedeuten, dass das Staunen bloßer Kinderkram sei. Ganz im Gegenteil, sobald einer wenig oder gar nicht mehr staunt, verarmt er geistig und sein Leben verliert an Farbe und Freude. Ganz konkret und für mich fast alltäglich ist, dass ich so viele Leute erleben muss, die sich offenbar das Staunen gänzlich abgewöhnt haben. Für solche ist wohl alles total selbstverständlich und sie meinen offenbar, dass wir „alles im Griff“ haben, was tatsächlich aber am wenigsten stimmt, denn wir leben in einer besonders krisengeschüttelten Zeit, in der man immer weniger die Dinge noch im Griff hat. Natürlich sind „hoffnungslose Optimisten“ (Schopenhauer) auch hierbei anderer Meinung. Ich sagte „Meinung“, weil solche oft fern von den Tatsachen steht.
Nun aber zum Konkreten und zu einem interessanten Beispiel. Da kann ich mit einem lehrreichen Hörspiel im alten „Dampfradio“ von vor etwa 60 Jahren aufwarten. Die damalige Science-Fiction-Story war ungefähr so:
Eine außerirdische Zivilisation hatte unseren Planeten entdeckt und wollte alsdann mehr über diesen und seine Bewohner erfahren. Damit nicht genug, sie wollten den Erdball ganz erobern und ihn praktisch zu einer Kolonie machen. Da sie aber friedliche Wesen waren, hatten sie dazu eine ungewöhnliche schonende Technik für beide Seiten erfunden. Hierfür hatten Sie eine spezielle Droge geschaffen, die die Erdenbürger völlig frei von jeglichem Staunen machen konnte. Dann verstreuten sie dieses Mittel über alle Kontinente. Sie warteten eine Weile ab und landeten dann mit einer großen Flotte von Raumschiffen. Wie erwartet, gab es nirgendwo Staunen oder eine Gegenwehr. Auch gab es auf beiden Seiten weder Verletzte noch Tote, noch Schäden oder Zerstörungen. – Soweit also „meine“ Geschichte.
Nun aber die Frage: Was lehrt uns das? Da das Staunen praktisch ausgeschaltet war, konnten sie die ungewöhnliche neue Situation nicht erkennen. Alles war und bleibt für die Erdenbürger gewöhnlich und selbstverständlich. Und damit waren sie in den Stand von Unfreien bzw. von Sklaven versetzt. Umgekehrt lässt sich hierbei folgern, dass durch Staunen das Leben erst bunt und frei von lähmender Langeweile wird, was sich kaum bezweifeln lässt. Gerade noch rechtzeitig entdecke ich nun einen Ausspruch des antiken Aristoteles (384 – 322 v.u.Z.), der meine vorliegenden Thesen kräftig unterstützt. Hier ist er:
„Staunen ist der erste Grund der Philosophie.“
Zum dargestellten Mangel an Staunen gehört nach meiner Meinung auch das weit verbreitete Nachlassen des geistigen Niveaus. Das ist aber nicht bloße Meinung, sondern auch unbestrittene Tatsache in etlichen Fachkreisen und Statistiken. Näheres darüber bei anderer Gelegenheit. Es ist nunmehr Zeit zum Schließen und ich gebe Ihnen noch einen Lebensrat mit auf den Weg: Lieber sich kaputtlachen, als sich totzuärgern!
So, jetzt staunt mal schön und seid freundlichst gegrüßt!
Euer Heinz Dierdorf