4. August bis 20. August 2017 | Westchor Wormser Dom

Drei Jahre schrieb der Münchener Autor Albert Ostermaier für die Nibelungen-Festspiele. Schon früh war es sein Ziel, auszuloten, wie weit man den Handlungsspielraum innerhalb des Nibelungenkosmos ausdehnen kann. In diesem Jahr zeigte sich, dass dieser Grenzen hat und dass zu viele Ambitionen einen Stoff dramaturgisch und vor allem emotional behindern können. „Glut. Siegfried von Arabien“ verwebte den Nibelungenmythos mit einer wahren Begebenheit aus dem Ersten Weltkrieg.

Diese wahre Begebenheit war die Geschichte des deutschen Hauptmanns Fritz Klein, der für das Kaiserreich mit dem Zug nach Persien reiste, um zusammen mit einem Trupp aus Agenten und muslimischen Kriegsgefangenen die britischen Ölpipelines zu sabotieren. Zu seinem Auftrag gehörte auch, die Schiiten unter dem Vorwand des „Jihad“ aufzuwiegeln und zu einem Aufstand zu bewegen. Ostermaiers Kunstgriff, die Geschichte mit den Nibelungen zu verbinden, liegt dann genau in der Zugreise. Tatsächlich kostümierte sich die bunt zusammengewürfelte Truppe damals als Zirkusensemble. Bei Ostermaier ist es eine Theatertruppe, die am Hofe eines Scheichs Wagners „Ring des Nibelungen“ aufführen möchte. Natürlich führte der Auftritt letztlich zum berühmten Nibelungen-Massaker, bei dem alle Protagonisten – bis auf den Scheich, also Etzel, – ihren Tod finden. In Wirklichkeit erfreute sich Hauptmann Klein weiterhin bester Gesundheit, wurde zum Mittler zwischen Orient und Okzident und starb friedlich im Alter von 81 Jahren. Natürlich darf sich Kunst Freiheiten erlauben, die Wahrheit anders auslegen, um eigene Wahrheiten zu schaffen. Die Frage ist jedoch: „Kann zusammengehören, was nicht zusammenpasst?“

Zeitlose Nibelungen?
Der Autor hatte durchaus Recht, als er im Interview mit WO! sagte, dass die Nibelungen auch immer eine Erzählung der Gegenwart sind. Themen wie Liebe, Verrat, Eifersucht oder falsch verstandene Loyalität sind universale Themen des Lebens. Trotzdem muss man feststellen, dass nicht jedes Handlungsgerüst dazu taugt, sich die Nibelungen als Mäntelchen überzustülpen. Denn das war es letztlich, was der Autor tat. Es ist ziemlich klar, dass das Hauptinteresse des Autors in erster Linie die Erste-Weltkriegs-Geschichte mit ihrem dramatischen Grundgedanken war. Denn dieser trifft genau den Kern der Zeit. Inwieweit ist es legitim, in anderen Ländern zu zündeln, in dem man vorsätzlich Staaten manipuliert, Kriege entfacht und Herrscher stürzt? Eine Frage, die gerade in diesen Tagen aktueller nicht sein könnte. Aber das sind genau Fragen, die im Nibelungenlied keinen großen Raum einnehmen. Zwar ziehen die Nibelungen an den Hofe König Etzels, aber eben nicht mit dem Anspruch, ein Land in den Krieg zu stürzen. Es sind persönliche Konflikte, die die Burgunder in das Hunnenland führen und ebenso persönliche Konflikte, die alle Beteiligten in das große Unglück stürzen. Bei Ostermaier wirkte das in der Umsetzung sichtlich bemüht. Zu schwer wog der erzählerische Anspruch, politisch relevant sein zu wollen, den Festspielen gerecht zu werden und dennoch zu unterhalten.

Polittheater statt Emotionen
Wie man die Nibelungen sinnvoll dramaturgisch abstrahieren kann, zeigte man im Jahr davor. Während damals die Mischung der unterschiedlichen Ebenen, das „Spiel im Spiel“ auf unterhaltsame Ebene funktionierte und auch von der pulsierenden Regie Calis‘ lebte, wirkte die Inszenierung von „Glut“ ständig, als würde sie sich selbst im Weg stehen. Calis‘ Regie zeigte sich zwar auch in diesem Jahr wieder kraftvoll und bewegungsfreudig, verließ sich allerdings zu sehr auf das Erfolgskonzept des letzten Jahres. Statt Glaskabinen gab es Zugabteile, auf der Videoleinwand wurden wieder Monologe gezeigt und die Musik spielte abermals eine wichtige Rolle. Selbst die Anfangsmusik erinnert frappierend an das Eröffnungsstück aus „Gold“. Neu war die Ingredienz der großen Oper, passend zu den Nibelungen waren das Auszüge aus Wagners Ring-Zyklus. Was fehlte, war allerdings die Einzeldynamik der Szenen, die im Vorjahr für einen schnellen Szenenwechsel sorgte und somit von dramaturgischen Schwächen ablenkte. Diese war nun einem gruppendynamischen Inszenierungsstil gewichen, der das Stück allerdings weitaus statischer erscheinen ließ. Es ist bezeichnend, dass dann ausgerechnet die weniger bewegungsfreudigen Szenen, wie ein ruppiges Verhör mit dem Schaffner des Bagdad-Express, durchgeführt von dem engagiert spielenden Erdogan-Wiedergänger Oscar Ortega-Sanchez, sowie eine in Zeitlupenbewegung choreografierte Schießerei, zu den spannendsten Momenten kurz vor der Pause gehörten. Calis und Ostermaier betonten zuvor immer wieder, kein Politikseminar auf die Bühne bringen zu wollen, doch was Ostermaier die meiste Zeit mit seinem Stück machte, war eben genau das. Theater soll im besten Falle zum Denken anregen, aber auch Emotionen ansprechen und Gefühle wecken – das schaffte „Glut“ leider zu keinem Zeitpunkt.

Homogenes Ensemble, opulente Ausstattung, dünne Story
An den Schauspielern lag das freilich nicht. Die spielten mehr als engagiert und bemühten sich, ihren Rollen ein paar Gefühlsregungen abzugewinnen. Dass dies nur schwer möglich war, lag daran, dass diese oftmals im Klischeesumpf geradezu feststeckten. Exemplarisch hierzu die Darstellung der im Zug mitfahrenden europäischen Diplomaten, die aus England, Russland und Frankreich stammten. Natürlich war der Russe ordinär-derb, der Engländer aristokratisch und schwul und der Franzose ganz Boheme und dem gepflegten Rausch niemals abgeneigt. Zwar gut gespielt von den jeweiligen Darstellern, konnte dies jedoch nicht über die Eindimensionalität ihrer Rollen hinwegtäuschen. Außerdem fehlte es an einer griffigen Hauptfigur, am ehesten traf dies noch auf Valerie Koch als Lady Adler zu. Die spielte im Kontext der Geschichte eine zwar eher überflüssige Rolle, die wohl an die deutsche Regisseurin Leni Riefenstahl angelehnt war. Zwischen hyperaktivventilierend und Femme Fatale hatte sie den schauspielerisch dankbarsten Part. Memet Kurtulus gab jovial den Weisen aus dem Orient, Heio von Stetten konnte als Fritz Klein am Anfang wenigstens mit ein paar Szenen brillieren, ehe er im Hintergrund verschwand, und Til Wonka durfte als jüdischer Siegfried aka Leutnant Stern wunderbar launisch mit dem Publikum agieren. Auch für das Auge wurde einiges geboten. Die Kostüme zwischen Militär und 1001er Nacht, die Bühnenausstattung sowie das Lichtdesign korrumpierten sozusagen die Sinne und lenkten von dem politischen Getöse, das Ostermaier in die Nacht hinaus schleuderte, angenehm ab. Ostermaier verwies in diesem Zusammenhang immer wieder darauf, dass er auch die Anfänge des Jihad schildern wollte, an denen das deutsche Kaiserreich beteiligt war. Das ist übrigens historisch nicht ganz korrekt. Zwar konnten die Deutschen mittels Geldzahlungen einige Stämme zum Aufstand bewegen, dieser verpuffte allerdings schnell wieder. Viel schwerer wogen wohl die Einmischungen des britischen Königreichs, das damals fröhlich „World Building“ betrieb und damit den wahren Grundstein für die heutigen Konflikte lieferte.

Fazit: Die Idee war spannend, der Ansatz interessant. Leider verlor sich Ostermaier im Irrgarten der Anspielungen, Handlungsebenen und Wortkaskaden. Das Publikum hatte er dabei wohl vergessen. Da konnten auch Regisseur Nuran David Calis und Dramaturg Thomas Laue nur noch wenig retten. Unterm Strich ein opulent ausgestattetes Theaterevent, das unter dem Ballast des eigenen Anspruchs litt.