Was die Wormser den Sommer über zu meckern hatten
Dass die Wormser notorisch unzufrieden sind und eigentlich immer latent etwas zu meckern haben, ist nichts Neues. Im Gegenzug können die Wormser aber auch besonders herzlich sein, wenn sie jemanden ins Herz geschlossen haben. Normaler- weise nehmen die allgemeinen Klagen in der wärmeren Jahreszeit etwas ab, wenn die Toskana Rheinhessens mit zahlreichen Angeboten ins Freie lockt und die Leute einfach nur den Sommer genießen. Wirft man allerdings einen Blick in die Kommentar- spalten bei FACEBOOK, scheint die Unzufriedenheit über die „Nibelungen-Festspiele“, „Jazz & Joy“ oder allgemein „die hohen Kulturkosten der Stadt“ derzeit besonders groß zu sein. Manche Kritikpunkte sind durchaus berechtigt, andere schlichtweg aus der Luft gegriffen. Es geht deshalb in diesem Artikel darum, mit einigen weit verbreiteten Mythen aufzuräumen, weil sie entweder von gefährlichem Halbwissen geprägt sind oder schlicht und ergreifend nicht stimmen. Trotzdem werden manche Geschichten, gerade in den Sozialen Medien, aber auch in persönlichen Gesprächen, immer wieder hervorgekramt.
Behauptung Nr. 1:
„Das ist alles viel zu teuer!“
Ohne Zweifel sind die Preise bei nahezu allen Veranstaltungen angezogen. Speziell die Getränkepreise bei den Nibelungen-Festspielen stießen in diesem Jahr auf Kritik, weil man bei den aufgerufenen Preisen im Heylshof kaum noch von einer Veranstaltung für jedermann sprechen kann. Was jedoch generell ein Eintrittsgeld angeht, gilt grundsätzlich: Wenn etwas umsonst ist, zieht dies automatisch eine gewisse Besucherklientel an. Jahrmärkte oder Kirmes können ein Lied davon singen, welche Besuchergruppen bevorzugt kostenlose Veranstaltungen aufsuchen. Es gibt deshalb eine unausgesprochene Regel unter Veranstaltern: „Verlange Eintritt und das Gesocks geht woanders hin…“
Behauptung Nr. 2:
„Die Nibelungen- Festspiele kosten die Stadt nur Geld!“
Gerne wird diese Kritik auch mit dem Zusatz versehen: „…für das Geld würde man besser die Wormser Schulen renovieren.“ Hier liegt schon der erste Denkfehler und zwar das Problem mit den unterschiedlichen Töpfen. Die Finanzierung des Etats der Nibelungen-Festspiele setzt sich nicht nur aus Eintrittsgeldern zusammen, sondern es kommen noch Sponsorenzahlungen sowie Fördergelder von Bund und Land dazu. Wenn man die Festspiele, wie manchmal gefordert, komplett einstellt, dann fallen diese Einnahmenquellen weg, aber trotzdem wird von dem eingesparten Geld keine einzige Wormser Schule renoviert. Stattdessen engagieren sich die Sponsoren anderweitig und die Fördergelder fließen an kulturelle Einrichtungen in einer anderen Stadt. Tatsächlich bleibt aber jedes Jahr ein Zuschussbedarf für die Stadt Worms, der bei ca. 1,5 Millionen Euro liegt und über den man reden muss.? siehe: „Kultur kostet nur unnötig Geld“
Behauptung Nr. 3:
„Die Nibelungen-Festspiele bringen nix!“
Dass die Stadt Worms seit 2002 jedes Jahr ca. 1,5 Mio. Euro in die Festspiele pumpt, ist in erster Linie ein Förderprogramm für Hotels und Gastronomie, aber auch den Einzelhandel, der von auswärtigen Besuchern profitiert, genauso wie das Modegeschäft, das ein Outfit für die Festspiele an eine „einheimische“ Frau verkauft. Es gibt aber auch noch regionale Werbeagenturen, Kostümbildner, Taxiunternehmen, Sicherheitsfirmen, etc., die von Aufträgen im Rahmen der Festspiele profitieren. Als die Hochschule Worms vor neun Jahren beauftragt wurde, die Wertschöpfung der Nibelungen-Festspiele zu ermitteln, kam man auf einen Betrag von knapp 1,6 Millionen Euro. Das ist der Betrag, der durch Besucher und Mitarbeiter der Nibelungen-Festspiele 2014 in die Stadt floss. Wohlgemerkt: Der Betrag landet nicht bei der Stadt direkt (höchstens in Form von Gewerbesteuer), sondern bei den genannten Branchen. Es steht deshalb zu erwarten, dass das Defizit der Festspiele auch in Zukunft ein Reizthema bleiben wird – alleine schon vor dem Hintergrund chronisch unterfinanzierter Kommunen. Trotzdem muss man sich auch hier der Folgen bewusst sein, dass eine Absage der Festspiele mit jährlich mehr als 20.000 Besuchern den genannten Branchen noch mehr zusetzen würde. Zudem geht es bei einer Veranstaltung wie den Festspielen auch um die Außenwirkung von Worms. Damit ist nicht nur die Berichterstattung in großen Tageszeitungen gemeint, die natürlich einen gewissen Werbeeffekt hat Denn im Idealfall gefällt es einem auswärtigen und bestenfalls noch solventen Gast so gut in Worms, dass er einen Umzug in Erwägung zieht. Und neue Bürger, die der Stadt nicht auf der Tasche liegen, kann man in Worms wahrlich gut gebrauchen
Behauptung Nr. 4:
„Eine Karte für die Nibelungen-Festspiele kann sich doch keiner leisten!“
Die günstigste Karte für eine Aufführung der Nibelungen-Festspiele kostet 39.- Euro, die teuerste Karte 119.- Euro. Dass man für die billigste Karte eher in den hinteren Reihen Platz nehmen muss, sorgt zwar mitunter ebenfalls für Kritik, aber wer das nicht kapiert: „It‘s Capitalism, Stupid!“
Behauptung Nr. 5:
„Eine Karte für „Jazz & Joy“ ist viel zu teuer!“
Ein Wochenendticket „Jazz & Joy“ kostet im Vorverkauf 50.- Euro. Im Vorfeld des Festivals gewährt wird. Dafür konnte man an drei Tagen theoretisch insgesamt 33 Bands hören. In der Praxis schafft man an einem Wochenende vielleicht zehn Bands, was einem Preis von 5.- pro Auftritt entspricht. Von teuer kann hier also nicht die Rede sein. Im Vergleich zum Wochenendticket mutet der Preis für ein Tagesticket in Höhe von 30.- Euro im Verhältnis zwar teurer an. Wenn man allerdings sieht, dass man in diesem Jahr am Sonntag für den genannten Preis die Konzerte von RAY WILSON, MAX MUTZKE oder GENTLEMAN besuchen konnte, ist der Eintritt immer noch sehr günstig. Zum Vergleich: Eine Karte für ein normales Gentleman-Konzert kostet knapp 50 Euro. Im letzten Jahr konnte man für den Preis eines Tagestickets BONNIE TYLOR sehen, die für ihr Konzert im Dezember im Mannheimer Rosengarten, je nach Kategorie, Preise zwischen 57 und 92 Euro aufruft. Nach wie vor gilt: „Jazz & Joy“ ist nicht nur ein Entdeckerfestival, sondern mitunter auch ein „Schnäppchenfestival“.
Behauptung Nr. 6:
„Wer interessiert sich schon fürs „Jazz & Joy“?
16.000 Besucher besuchten in diesem Jahr an drei Tagen „Jazz & Joy“ und es ist auch kein Geheimnis, dass an diesem Musikwochenende sehr viele Gäste aus anderen Städten gesichtet werden.Interessanterweise kommt jedoch zumeist Kritik von Leuten, die noch nie beim „Jazz & Joy“ waren. Die Leute, die das Festival regelmäßig (oder auch zum ersten Mal) besuchen, berichten dagegen von einer niveauvollen Veranstaltung mit friedlicher Atmosphäre und tollen Musikbeiträgen. Kritik gibt es oftmals bei der Bekanntgabe des Acts für das Sonderkonzert und es werden stattdessen wild Vorschläge unterbreitet, wen man denn stattdessen mal nach Worms holen könnte. Ganz davon abgesehen, dass sich die veranstaltende KVG nationale Superstars (von internationalen ganz zu schweigen…) wie die vorgeschlagenen Helene Fischer oder Udo Lindenberg finanziell nicht ansatzweise leisten kann, ist Musikgeschmack eine ziemlich subjektive Angelegenheit. Was den einen ärgert, freut den anderen.
Behauptung Nr. 7:
„Das Starefest war toll, aber das wurde einfach abgeschafft!“
In Diskussionen bei FACEBOOK taucht immer wieder der Mythos Starefest auf, das immer wieder gefordert wird, wenn nach „neuen Ideen“ für eine Innenstadtbelebung gesucht wird. Tat- sächlich war das 1988 ins Leben gerufene „Starefest“ ein Fest, so recht nach dem Geschmack des gemeinen Wormsers: Zentral in der Innenstadt gelegen, kein Eintritt, günstige Getränke und auf irgendeiner Bühne läuft Musik, bestenfalls eine Coverband, denn mal will die Lieder schließlich kennen und nicht unbedingt etwas Neues entdecken. Eine Attraktion war es, als einmal der damalige ESC-Gewinner JOHNNY LOGAN auf dem Obermarkt gespielt hat. Wenn aber von vielen Wormsern in der Rückschau das Starefest glorifiziert wird, wie toll die Veranstaltung doch war, blendet man gerne die unangenehmen Begleiterscheinungen, die das Fest mit sich brachte, komplett aus. Dass das Starefest Ende der Neunziger eingestellt wurde, lag auch daran, dass es zu später Stunde regelmäßig zu teilweise schweren Ausschreitungen kam. Während man als erfahrener Wormser wusste, dass es ab einer bestimmten Uhrzeit regelmäßig „rappelt“, musste man als Auswärtiger damit rechnen, die Nacht im Wormser Hochstift verbringen zu müssen. Welche Werbung ist das für eine Stadt, wenn in der Nachbarschaft getuschelt wird, dass Worms ein gefährliches Pflaster ist und man bei Festivitäten bestenfalls einen weiten Bogen um die Stadt macht?
Behauptung Nr. 8:
„So ein Fest wie das Starefest gibt es heute nicht mehr…“
Tatsächlich gibt es gerade seit diesem Jahr einige Alternativen bzw. ähnliche Veranstaltungen wie das Starefest. Neue Formate wie die „Wormser Weinmeile“, „Musik am Gammi“ oder das am 30.09. erstmals stattfindende „Altstadtfest“ kosten ebenfalls keinen Eintritt und bieten über mehrere Stunden Livemusik. Nicht zuletzt ist auch die „Wormser Kulturnacht“ mit einheimischer Kultur an über 30 Orten in der Innenstadt eine niveauvolle Alter- native zum „Starefest“, kostet allerdings auch zehn Euro Eintritt
Behauptung Nr. 9:
„Die Stadt ist schuld, dass „Worms rockt“ nicht mehr stattfindet!
Zur Erklärung sei vorab gesagt, dass die Veranstaltung „Worms rockt“ – im Gegensatz zum Backfischfest, Jazz & Joy, Nibelungen-Fest- spiele u.a. – nicht von der Stadt Worms, sondern einem privaten Veranstalter durchgeführt wurde, der Bankett plus GmbH aus Leonberg, die ähnliche Konzerte noch in einigen anderen Städten Süddeutschlands veranstaltet (z.B. „Kornwestheim rockt“). Die Stadt Worms stellt lediglich den Festplatz als Veranstaltungsort zur Verfügung und verlangt hierfür eine Pacht. Die Rolle des Veranstalters umfasst die Organisation der Konzerte, Marketing, Booking und Bezahlung der Bands sowie Übernahme der Kosten für Technik und Bühnenaufbau. Da der Veranstalter von „Worms rockt“ keinen Eintritt verlangt, muss die Refinanzierung des Festivals über die Standgebühren für die Gastronomie, den Getränkeverkauf und Sponsorengelder erfolgen. Vor diesem Jahr stand die Bankett plus GmbH allerdings vor dem gleichen Problem wie so viele Veranstalter. Die Kosten im Eventbereich sind massiv explodiert, angefangen bei der Technik und endend bei den Bandgagen, wodurch die bisherige Kalkulation aufgrund ausufernder Kosten ins Wackeln geriet. Da die Veranstaltung bereits zwei Mal erfolgreich und ohne negative Vorkommnisse in Worms stattfand, fragte der Veranstalter bei der Stadt an, ob man auf die Pacht für den Festplatz verzichten könne. Die Stadtverwaltung wiederum hat im Sinne der Gleichbehandlung eine Übernahme der Kosten abgelehnt, was zu der Schlagzeile im Nibelungenkurier, dem Medienpartner von „Worms rockt“, führte: „Musikfestival fällt 2023 aus / Veranstalter bemängelt fehlendes Entgegenkommen der Stadt.“ Im Nibelungenkurier führte der Veranstalter weiter aus, dass er in anderen Orten Sachleistungen kostenlos bereitgestellt bekomme, weshalb er keine wirtschaftliche Grundlage für eine weitere „Worms rockt“ Veranstaltung sehe. Tatsächlich muss man in diesem Fall Verständnis für beide Seiten haben. Wenn die Stadt anfängt, bei einer Veranstaltung auf die Pacht zu verzichten, ist die Büchse der Pandora geöffnet und andere Veranstalter wollen ebenfalls den Festplatz gratis mieten. Interessant wäre noch die Summe, um die es hierbei geht: Für einen Tag kostet die Pacht für den verhältnismäßig großen Festplatz bescheidene 600 Euro, was bei fünf Konzertabenden einen Gesamtbetrag von 3.000 Euro ergibt. Wir reden also nicht über riesige Summen für den Veranstalter. Andererseits könnte man aber auch argumentieren: Wegen 3000 Euro findet „Worms rockt“ nicht mehr statt, was vor dem Hintergrund der gesamten Kulturausgaben der Stadt ein vergleichsweise geringer Betrag ist.
Behauptung Nr. 10:
„Kultur kostet nur unnötig Geld!!!“
Ja, Kultur kostet Geld und das mehr denn je. Aber sind die Ausgaben für Kultur unnötig? Bei der diesjährigen Eröffnung der „Wormser Kulturnacht“ erklärte Bürgermeisterin Stephanie Lohr: „Kultur ist die Sprache, mit der eine Stadt zu ihren Besuchern und Bürgern spricht!“ Vor allem aber bietet Kultur eine der wenigen Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen und Gäste von außerhalb in die Stadt zu locken. Menschen besuchen andere Städte entweder für einen Einkaufsbummel oder um eine kulturelle Veranstaltung – von Festen, über Konzerte bis hin zu Sportevents – zu besuchen. Es stimmt auch, dass die Stadt Worms sich das Thema Kultur viel Geld kosten lässt. Zu dem Zuschuss für die Nibelungen-Festspiele in Höhe von 1,5 Mio. kommt noch ein städtischer Zuschuss für die KVG (Kultur- und Veranstaltungs GmbH) in Höhe von vier Millionen Euro zur Finanzierung der vielfältigen kulturellen Events und des Theaterprogramms. Kulturdezernent DAVID MAIER verfügt über einen eigenen Kulturetat von knapp 800.000 Euro und die Gesamtausgaben für die Wormser Museen belaufen sich auf knapp 2,4 Millionen Euro. Zweifellos macht Kultur eine Stadt lebenswert, aber durch die chronische Unterfinanzierung der Stadt werden zukünftig auch die Ausgaben für die Kultur auf dem Prüfstand stehen. Aber jeder, der eine Absage der kulturellen Leuchttürme verlangt, muss davon ausgehen, dass dann irgendwann gar nichts mehr in Worms stattfindet. Und wie trostlos ist die Stadt dann? Wollen wir das wirklich?
Text: Frank Fischer
Foto: Dennis Dirigo