14. Juli 2019 | Heylshofpark Worms:
Für einen kurzen Moment wiederholte sich an diesem Sonntagmorgen die Angst, die „Theaterbegegnungen“ würden unter einem ähnlichen regengeschwängerten Wetter leiden wie zwei Tage zuvor die Premiere des Festspiel Hauptstückes „Überwältigung“. Doch Besucher und Veranstalter hatten Glück und mussten lediglich ein paar Regentropfen aushalten, ehe mit wenigen Minuten Verspätung Intendant Nico Hofmann, der künstlerische Leiter Thomas Laue und Moderator Rüdiger Suchsland die Bühne betraten, um den Zuschauer Hintergründiges rund um das Stück „Überwältigung“ zu erzählen.
Auf die Frage nach der Botschaft, erklärte der bekannte Filmproduzent und Festspiel-Intendant Nico Hofmann, dass „Überwältigung“ seit Beginn seiner Intendanz im Jahre 2015 das modernste Stück sei, das auf der Bühne vor dem Wormser Dom zu sehen war. So wäre es Autor Thomas Melle auf prophetische Weise gelungen, das Phänomen Greta vorwegzunehmen. Als Melle begann, seine Version der Nibelungen zu verfassen, war die junge schwedische Klimaaktivistin noch kein Thema, dennoch ernannte der Autor den fünfjährigen Ortlieb zum Mittelpunkt des Geschehens und damit die Kritik der Jugend an den Erwachsenen. Moderator Rüdiger Suchsland erkannte in der Plauderrunde dann auch die typischen Vertreter des derzeit schwer gescholtenen, alten weißen Mannes und stellte in seiner Interpretation der Inszenierung fest, dass Hagen vergleichbar mit dem ehemaligen amerikanischen Außenpolitiker Henry Kissinger sei, der wiederum als Musterbeispiel eines Realpolitikers galt. Hofmann ging noch einen Schritt weiter und unterstellte dem diesjährigen Bühnen Hagen eine narzisstisch-egomanische Politik, mit einem fatalen Hang, die Wahrheit zu verdrehen. Bevor Hofmann und Suchsland weiter auf die Suche nach aktuellen Bezügen gehen konnten, holte Thomas Laue das Gespräch zurück zur eigentlichen Kernfrage von Thomas Melles Erzählung, ob Schicksal etwas Unausweichliches ist: „Alle Figuren scheinen ihr Ende zu kennen und trotzdem machen sie die gleichen Fehler“. Das führte den Chefdramaturgen der Nibelungen zu der Erkenntnis: „Die menschliche Natur ist offenbar so, dass wir Lösungsmöglichkeiten erkennen, aber nicht umsetzen können“. Neben solch interpretatorischen Gesprächsverläufen bot die Gesprächsrunde wieder mal einen spannenden Blick darauf, wie Melles Worte auf der Bühne zu Leben erwachen und welch harte Arbeit damit verbunden ist. Hofmann erzählte freimütig davon, dass vier Tage vor der Probe noch gravierende Änderungen vorgenommen wurden, da das Stück erhebliche Rhythmusprobleme hatte. Dem interessierten Publikum erklärte er, dass das Problem einer solch aufwendigen Inszenierung sei, dass man zuvor auf kleineren Bühnen probe, während die Techniker parallel ihre Parts vorbereiten, das Bühnenbild geschaffen wird, der begleitende Chor seine Teile einstudiert und schließlich erst zu einem verhältnismäßig späten Zeitpunkt das Stück komplett zusammengesetzt wird. Erst dann könne man erkennen, dass nicht alles, was auf dem Papier gut klingt, auf der Bühne funktioniert. Das führte wiederum zu heftigen Diskussionen mit den Schauspielern, die liebgewonnene Monologe oder Dialoge nur ungern abgegeben wollten.
Ausgiebig diskutiert wurde auch über das Premierenpublikum, da das Stück an diesem Abend bei vielen Zuschauern nicht besonders gut wegkam. Ein Zuschauer der „Theaterbegegnungen“ verstieg sich zu der Aussage, dass dieses Publikum sowieso nur wegen des roten Teppichs und den kulinarischen Genüssen anwesend sei. Hofmann räumte zwar ein, dass so mancher Gast vermutlich jeden roten Teppich besuchen würde, verwies aber auch darauf, dass die andere Hälfte durchaus interessiert sei. Dem möchten wir als Redaktion hinzufügen, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil des Publikums aus Kritikern besteht, die an diesem Abend ihre Arbeit verrichten und sich selbstverständlich mit dem Stück auseinandersetzen. Aber auch das führt immer wieder zu Irritationen. So beklagte sich ein Zuschauer an diesem Morgen darüber, dass ein Kritiker der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Verbindung mit den Festspielen in Worms den Begriff Provinz anführte. Hofmann schloss sich dem an, dass dieser Begriff oft auf einer gewissen Arroganz beruhe, für ihn jedoch Provinz nicht negativ behaftet sei. Dass es Vorurteile gegenüber kleineren Städten gibt, untermauerte er an einer Frage seiner eigenen Mutter, als er beschloss, die Intendanz in Worms zu übernehmen: „Was willst Du eigentlich in Worms?“ Hofmann schloss die Runde mit dem Bekenntnis, dass er diese Entscheidung nie bereut hätte. Im Anschluss spielten die Musiker des aktuellen Stückes Auszüge aus der minimalistischen Ambient-Komposition mit Opernelementen, die von Friederike Bernhardt geschrieben wurden.