Durch die Corona-Krise wird das kulturelle Leben im Land bis mindestens 19.04.2020 komplett ruhen. Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) hat einmal gesagt: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.“ Nach den ersten Wochen ohne Kultur möchte man diesen Satz aktualisieren: „Ohne Kultur ist das Leben ein Irrtum.“ Spätestens jetzt wird vielen Menschen in Deutschland schmerzlich bewusstwerden, wie wichtig Kultur für unser Leben ist.

Als das Coronavirus Deutschland erreichte, da durften anfangs noch Veranstaltungen bis 1.000 Besucher durchgeführt werden, wenn auch unter zunehmender Kritik und öffentlichem Druck. Die letzte „Großveranstaltung“ in Worms war das Heimspiel von Wormatia Worms gegen den SV Elversberg II, das am 07. März 2020 vor exakt 885 Zuschauern ausgeführt wurde. Danach ging alles ganz schnell. Eine Woche später wurde im Fußball bereits der komplette Spielbetrieb eingestellt – von der Bundesliga bis zur Kreisklasse. Das hatte sich in der Woche zuvor schon angedeutet, als nacheinander die Leipziger Buchmesse, der Mannheimer Maimarkt oder die für Ende März vorgesehene Bockenheimer Weinmesse abgesagt wurden. Selbst in den USA, wo Präsident Donald Trump das Coronavirus anfangs eher belächelt hatte, wurde das Coachella Festival, das jedes Jahr 125.000 Besucher nach Kalifornien lockt, von April auf Oktober verschoben. Jetzt wurden auch in Deutschland Veranstaltungen unter 1.000 Besuchern untersagt, so dass der kulturelle Betrieb in Deutschland Mitte März zum Stillstand kam. Obwohl die Kultureinrichtungen vorerst nur bis 19.04. geschlossen sind, sind auch schon einige zukünftige Großveranstaltungen von den ersten Absagen betroffen. Das ursprünglich für den 3. Mai angesetzte Rheinradeln wurde aufgrund der unklaren Lage von den Veranstaltern auf den 27. September verschoben. Auch der Wormser Pfingstmarkt findet dieses Jahr nicht statt, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Unabhängig von Corona hat der langjährige Partner, die Koenitz GmbH, den auslaufenden Vertrag mit der Stadt nicht verlängert. Deshalb will die Stadt zukünftig selbst als Veranstalter auftreten. Da aber durch die Corona-Krise sämtliche städtischen Stabskräfte stark eingebunden sind, kann man für 2020 nicht noch nebenbei einen Pfingstmarkt planen. Aus ähnlichen Gründen wurde auch der Rheinland-Pfalz-Tag, der vom 19. bis 21. Juni in Andernach stattfinden sollte, bereits frühzeitig gecancelt.

DIE HOFFNUNG STIRBT ZULETZT
Vor Worms liegt auch noch das Spectaculum (22. – 24.05.) im Wormser Wäldchen, das u.a. mit dem musikalischen Headliner „Subway to Sally“ lockt. Aktuell ist jedoch schwer vorstellbar, dass schon in zwei Monaten ein Mittelaltermarkt mit 25.000 Gästen an einem Wochenende genehmigt wird. In einem etwas kleineren Rahmen soll die Wormser Kulturnacht am 27. Juni 2020 stattfinden. Auch das könnte knapp werden. In England hat man das legendäre Glastonbury-Festival, das Anfang Juni ausgetragen werden sollte, bereits abgesagt. In Deutschland hoffen die Veranstalter der beiden größten Festivals „Rock am Ring/Rock im Park“ (05. – 07. Juni 2020) und „Southside/Hurricane“ (19. – 21. Juni 2020) noch auf ein kleines Wunder. Mitte März ließ Veranstalter Marek Lieberberg verlautbaren: „Nach derzeitigem Stand findet Rock am Ring 2020 wie geplant statt und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Sollte sich an der aktuellen Lage etwas ändern, entscheiden die Gesundheitsbehörden über mögliche Anpassungen und wir informieren euch umgehend.“ Ebenso wie die Großen der Branche zittern in Deutschland natürlich auch zahlreiche Veranstalter kleinerer Festivals, wie bei uns in der Region beispielsweise das Open Air Hamm (bei Eich), ob der Festivalsommer 2020 wie geplant stattfinden kann. Und natürlich muss man auch wegen den beiden kulturellen Leuchttürmen der Stadt ein wenig bangen, sowohl um die Nibelungen Festspiele (17.07. – 02.08.) als auch um „Jazz & Joy“ (21. – 23.08.). Eine Absage des 30-jährigen Jubiläums von „Jazz & Joy“ wäre jammerschade, da mit CRO, NOUVELLE VAGUE, AL MC KAY‘S EARTH WIND & FIRE EXPERIENCE und WALLIS BIRD bereits veritable Acts für das August-Wochenende feststehen.

DER TIEFSCHLAG FÜR DIE KULTURBRANCHE
Aus finanzieller Sicht ist das Aussetzen von Veranstaltungen ein heftiger Schlag in die Magengrube aller Kulturtreibenden. Zahlreiche freie Künstler, z.B. Musiker, Schauspieler, Artisten, Bühnenbildner, Kameraleute, Fotografen u.v.m., stehen vor einer ungewissen Zukunft. Dementsprechend rief man schon frühzeitig aus ganz Deutschland nach staatlichen Hilfen. Die Frage ist nur: Wo fängt man an und wo hört man auf? Bei dem Veranstalter, der ein Jahr lang für sein Konzert geplant hat, bei dem Tontechniker, der monatelang ohne Einkommen war, oder bei der Vorverkaufsstelle, die von den Kartenverkäufen für Kulturevents lebt? Dabei war die Livebranche in den letzten Jahren eine ziemlich boomende Branche. Der Wormser Veranstaltungstechniker Christian Ruppel war mit seiner Firma Medienpark Vision gerade mit Schlagerstar Andrea Berg auf großer Deutschland Tournee, die aber vorzeitig abgebrochen werden musste. Statt eines guten Geschäftsjahres, droht nun, dank Corona, ein äußerst ungewisses Jahr. Aber ein solcher Tourneeabbruch zieht natürlich einen noch größeren Rattenschwanz nach sich. Gleichzeitig geht der beauftragten Security-Firma ein Auftrag flöten, jede Menge Logistik muss abbestellt werden, Busfahrten und Hotelbuchungen storniert werden. Lichttechniker, Bühnenbauer oder Roadies, die zuvor noch einen sicheren Job für die nächsten Monate hatten, stehen plötzlich ohne Einkommen da. Ebenfalls nicht mehr stattfinden dürfen Messen und Ausstellungen. Wenn man in diesen Tagen mit einem Messebauer spricht, dann hat man es mit einer Firma zu tun, der nicht etwa nur ein Teil des Umsatzes weggebrochen ist, sondern nahezu der komplette Quartalsumsatz – und das zur Hauptmessezeit. Auch Anbieter von Freizeitaktivitäten (drinnen und draußen), oder Spezialmärkten (z.B. Flohmärkte, Spielzeugbörsen oder Modelleisenbahnbörsen etc.) mussten sich dem Corona-Diktat beugen. Direkt davon betroffen sind, neben den Veranstaltern selbst, jede Menge Schausteller (auch hier in Worms!), oder Besitzer von Foodtrucks, die ein Sommer ohne Events sehr hart treffen würde. Die Pächter von großen Immobilien – wie Clubs, Discotheken, Kneipen/Biergärten – stehen alle vor dem Problem, dass zwar die Fixkosten und vor allem Miete/Pacht normal weiterlaufen, aber die Einnahmen komplett ausbleiben. Dazu kommen die Lohnkosten. Deshalb stehen aktuell Millionen Servicekräfte in ganz Deutschland, die meisten davon Minijobber, ohne Job da. Viele Restaurants sind aus der Not heraus auf Heimservice umgestiegen, auch wenn man damit die Einnahmen eines vollen Biergartens nicht ansatzweise kompensieren kann. Je nach Dauer der Corona-Krise dürften in der Gastronomie die meisten Existenzen auf der Kippe stehen. Immerhin stehen in Worms die Museen und Theater – abgesehen vom Lincoln Theater, das unter privater Trägerschaft geführt wird – unter städtischer Leitung, so dass hier keine private Insolvenz zu befürchten ist. Dagegen hat z.B. die Kinowelt Worms mit Patrick Mais einen privaten Betreiber, der den Ausfall alleine verkraften muss. Mit dem Wormser Tiergarten ist eine beliebte Anlaufstelle im Frühjahr bis auf Weiteres geschlossen, ebenso wie Freizeitparks, wie der Holiday Park oder Phantasialand, die Millionen in neue Attraktionen investiert haben und zum Saisonstart null Einnahmen verzeichnen können.

KULTUR BAHNT SICH TROTZDEM IHREN WEG
Hart treffen wird es die jungen Schauspieler, die sich mit einem Engagement am Theater ihren Lebensunterhalt verdienen. Oder Musiker, die im Monat 15-20 Konzerte geben, um sich ihre Miete zusammenzusparen. Ausgerechnet die Spezies an Menschen, die unser Leben bunter und kurzweiliger macht, steht vor dem Nichts. Dass sich Kunst trotzdem ihren Weg bahnt, beweisen neue Formate, die die Sozialen Medien als Vertriebskanal nutzen. Eines der ersten Konzerte, das u.a. über Magenta TV übertragen wurde und ohne Publikum stattfand, war von James Blunt am 11. März in der Hamburger Elbphilharmonie. Am 22. März wurde über Facebook und Instagram das „Zuhause-Festival“ gesendet, mit Musikern wie Johannes Oerding, Max Giesinger, Lotte, Lea oder Michael Schulte, die im Stundentakt Konzerte aus ihren Wohnzimmern gaben. Lange bevor RTL und SAT 1 auf die Idee kamen, Stars aus ihrer Quarantäne zu filmen, ging in Worms der Sender KARANTENA TV an den Start, hinter dem die beiden Macher Peter Englert und Gerrit Sürder stecken. Der eine ist Schauspieler, Sänger und mittelloser Politiker, der andere betreibt die Tanzschule im Park (Prinz Carl Anlage). Beide eint das Schicksal Vieler: Sie sind aktuell arbeitslos. Um sich die Zeit sinnvoll zu vertreiben, richteten sie im Keller der Tanzschule ein provisorisches Fernsehstudio ein, in dem täglich Tanzkurse, DJ-Sets, Plattenabende mit Heaven Records, Wohnzimmerkonzerte u.a. präsentiert werden. Unter www.karantena.tv lohnt es sich mal reinzuschauen. Während fast das ganze Volk abgeschottet lebt, mag das Internet als Kontakt zur Außenwelt funktionieren. Langfristig kann es ein echtes Liveerlebnis nicht ersetzen, das nun mal von der Interaktion zwischen Künstlern und Publikum lebt. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Leute nach der Corona-Krise erst recht zu schätzen wissen, welch immense Bedeutung Kultur für unser Aller Leben hat und die Veranstaltungen mit Leben füllen werden. Derweil hofft eine ganze Branche, dass es bald wieder weitergeht.