Während in Worms die Krise von Solokünstlern, Schaustellern, Gastronomen, Einzelhändlern den meisten Menschen mittlerweile präsent sein dürfte, ist das Leiden der Reisebranche eines, das der Öffentlichkeit erst sukzessive bewusst wird. Zudem dürfte es wahrscheinlich sein, dass sich nach den Erfahrungen Anfang des Jahres die Reiselust bei einigen Menschen eher auf das Inland konzentrieren wird.
Wenn der Urlaub zum Albtraum wird
Noch Ende Januar konnten sich die meisten Touristen im sicheren Gedanken wiegen, problemlos ihre Urlaubsreise anzutreten. Darunter auch einige Wormser, wie Sandra Müller, die zwölf Monate vor Reiseantritt einen Urlaub in Neuseeland buchte. Mitte Februar ging die für vier Wochen geplante Reise los. Einem Zeitpunkt, zu dem es zwar schon erste Anzeichen gab, dass das Virus sich auch in anderen Ländern ausbreitet, allerdings war für viele Touristen, darunter auch Sandra, nicht klar, wie schnell sich die Situation verändern würde. Zunächst schien alles normal. Das Wetter war bestens, die Laune gut und die Reise durch das wunderschöne Land vielfältig. Doch dann veränderte sich kurz vor Ende der Reise die Lage. Das Virus erreichte Neuseeland. Drei Tage vor Ende der Reise wurde ihr Rückflug abgesagt. Eigentlich war noch ein Kurzurlaub in Singapur geplant, aber auch der war nicht mehr möglich. Kurzum, die Lage war aussichtslos, denn es bestand keine Perspektive. Man könnte sich im ersten Moment Schlimmeres vorstellen, als im Land der Hobbits und Kiwis gefangen zu sein, doch der Alptraum sollte erst noch schlimmer werden. Eine Unterkunft musste gefunden werden und das wurde so richtig teuer. Umgerechnet kostete eine Übernachtung 100 Euro. Da keine Restaurants aufgrund des Lockdowns geöffnet hatten, musste sie sich im Supermarkt Tütensuppen organisieren, die sie mit heißem Wasser überbrühte oder es gab Knäckebrot mit Belag. Zudem schienen Touristen in Neuseeland nicht mehr länger willkommen zu sein: „Als Touristen wurden wir regelrecht angefeindet!“ erklärt sie im Gespräch. Zusätzlich wurde die Situation durch eine Ausgangssperre verschärft, zugleich wurde das Reiseportemonnaie immer leerer. Ihr Arbeitgeber zeigte zwar Verständnis, erklärte aber, dass die Zeit nach der Rückkehr wieder eingearbeitet werden muss. Das Auswärtige Amt informierte währenddessen regelmäßig die deutschen Touristen, aber was sie sagten, machte wenig Hoffnung, da sich die Verhandlungen mit Neuseeland schwierig gestalteten. Am 2. April gab der neuseeländische Außenminister bekannt, dass den Ländern erlaubt würde, seine Bürger zurückzuholen. Insgesamt waren 12.000 Deutsche betroffen. Sandra musste dennoch fünf weitere Tage im früheren Paradies verharren, ehe sie die Nachricht bekam, zurückreisen zu dürfen. Organisiert wurde die nicht über das Auswärtige Amt, sondern von ihrem Reiseveranstalter DER Tours. Am 7. April war es endlich soweit. Über Auckland, Christchurch und Hongkong ging es schließlich nach sechs Wochen Neuseeland und 40 stündiger Reisezeit zurück nach Frankfurt und von da nach Worms. Wie sie sagt, war das ein Albtraum, der sie zugleich viel Geld und den Aufenthalt in Singapur kostete. Ein Urlaub, den sie so schnell nicht vergisst.
Reisebranche in der Krise
Geschlossene Grenzen, Hotels und Restaurants machten für einige Monate das Reisen schlicht und ergreifend unmöglich. Zwischenzeitlich ist das Reisen in Länder, wie beispielsweise Frankreich und Italien, wieder möglich. Weitere folgen Mitte Juni, die Regierung spricht von 31 weiteren Ländern, und ab Anfang Juli möchte der Deutschen liebstes Urlaubsziel Spanien wieder Touristen empfangen. Für andere beliebte Urlaubsziele wie Ägypten sieht es allerdings nicht gut aus. Das Auswärtige Amt hat für das nordostafrikanische Land eine Reisewarnung aufgrund des Corona-Virus ausgesprochen. Buchungen sind zwar prinzipiell möglich, allerdings muss man sich als Tourist darauf einstellen, dass derzeit zwischen 20 Uhr und 6 Uhr morgens eine Ausgangssperre besteht. „Aufenthalt außerhalb der Wohnung während der Ausgangssperre kann Kontrollen, Geld- oder Gefängnisstrafen nach sich ziehen“, schreibt das Auswärtige Amt. Die Welttourismusorganisation UNWTO rechnet damit, dass in der Corona-Krise das internationale Reisegeschäft massiv einbrechen wird. Der Verband geht von 70 Prozent weniger Reisen aus – das wäre der größte Einbruch internationaler Reisen seit den 50er Jahren. In Zahlen bedeutet das, dass in Deutschland rund 2.000 Reiseveranstalter und 10.000 Reisebüros unverschuldet in eine gewaltige Krise geschlittert sind. Auf Worms runtergebrochen betrifft das rund 35 Reisebüros. Hilfe ist bisher nicht in Sicht. Ein Problem, auf das unlängst Jan Metzler, MdB (CDU), aufmerksam machte: „Es braucht jetzt dringend unterstützende Maßnahmen, sonst verlieren wir eine Branche, an der gerade wir als reisefreudige Nation besonders hängen.“ Viele rheinhessische Reisebüroinhaberinnen und -inhaber haben sich deshalb an den Bundestagsabgeordneten gewandt und ihm ihre existenzbedrohende Situation geschildert. Bereits gebuchte Reisen müssten storniert und zurückgezahlt werden. Zudem entfallen die dafür vorgesehenen Provisionen. Für den rheinhessischen Abgeordneten in Berlin steht fest, dass ein Rettungspaket her muss. Die Bundesregierung hatte zunächst ein verpflichtendes Gutscheinmodell favorisiert, bei dem den Kunden die gebuchte und nun stornierte Reise nicht erstattet, sondern ein Gutschein ausgestellt worden wäre. Dadurch hätte man die Liquidität der Reisebüros erhalten. Das ist aber verbraucherrechtlich durch die EU-Kommission abgelehnt worden. Die Reisewirtschaft selbst empfiehlt einen „Kreditfonds“, der die Rückerstattungen an die Kunden übernimmt. Der Staat würde diesen Fonds zunächst bereitstellen, anschließend könnten die Unternehmen das Geld schrittweise zurückzahlen. Der Nachteil dieser spezifischen Branchenförderung, man würde die bisherige Strategie von Bund und Ländern, nämlich die Wirtschaft in der Breite zu fördern, verlassen. Letztlich ist Jan Metzler klar: „Wir müssen den Fokus jetzt auf die Branchen und Unternehmen richten, die länger von der Krise betroffen sein werden.“ Neben der Reisebranche sind das für ihn ganz besonders die Schausteller, die Messewirtschaft sowie Gastronomie und Hotellerie.
Heimat neu entdecken
Wahrscheinlich dürften die Auswirkungen der Pandemie auch die Reisepläne vieler Wormser auf den Kopf gestellt haben. Laut bisherigen Informationen vieler Reiseveranstalter liegt der Fokus vieler Urlauber auf einer innerdeutschen Reise. In einer Pressemitteilung zur Situation der Reisebüros und Reiseveranstalter begrüßt der Abgeordnete Jan Metzler ausdrücklich diesen Trend. Schließlich fördert eine Reise innerhalb Deutschlands insbesondere die gebeutelten Wirtschaftszweige der Hoteliers und Gastronomen. Auch Worms hofft darauf, dass in diesem Jahr zahlreiche Touristen die Stadt besuchen, um beispielsweise zu Fuß durch zwei Jahrtausende zu wandeln oder von der günstigen Wetterlage zu profitieren. Auftrieb könnte die Stadt davon bekommen, dass auch die renommierte Zeitung DIE WELT Deutschland als Reisetrend in diesem Jahr ausgemacht hat. In dem Artikel „Zwischen Saar und Donau – auf in den Südwesten“, der auch online verfügbar ist, empfiehlt die Redaktion als eines von fünf Zielen eine Reise nach Worms. „Überall steckt diese Stadt – eine der ersten, die auf deutschem Boden gegründet wurde – voller Geschichte und Geschichten, auch wenn man ihr das heute stellenweise erst auf den zweiten Blick ansieht. Doch es gibt zwischen Schnellstraßen und Nachkriegsbeton zum Glück genügend kopfsteingepflasterte Gassen und mittelalterliche Baukunst zu entdecken“, heißt es in dem Text. Eine Empfehlung spricht man auch für das Erkunden des jüdischen Worms aus und lobt einen Besuch des sehenswerten Nibelungenmuseums. Werbung gratis für eine Stadt, deren Marketingbudget eher begrenzt ist. Besser geht es nicht. Um einen Besuch in unserer Nibelungenstadt schmackhaft zu machen, hat die Tourist-Information unlängst eine neue Homepage an den Start gebracht, die nicht nur über Worms informiert, sondern sich auch als Tor zur Region versteht. Zahlreiche Beiträge informieren über Sehenswertes im Zellertal, der Kurpfalz, in Speyer, Mainz oder dem Wonnegau. Der unendliche Weise Dalai Lama erkannte einst: „Einmal im Jahr solltest du einen Ort besuchen, an dem du noch nie warst.“ Es dürfte wahrscheinlich nicht wenige Deutsche und auch Wormser geben, denen der Ballermann vertrauter ist als die Umgebung ihrer eigenen Heimat. Warum also nicht ein wenig Rheinhessen oder die angrenzende Pfalz erkunden?