Zum Thema Satire fallen mir spontan drei Geschichten aus 175 Ausgaben ein, die für Aufsehen sorgten. Diese handeln von Missverständnissen, gebrochenen Versprechen und ihren Folgen sowie dem missglückten Versuch einer Satire.
DER FALSCHE ASTRONAUT
Begonnen hat die ganze Geschichte mit einem Interview im WO!, in dem der scheidende Gitarrist der Döftels seinen Ausstieg aus der Band bekanntgab…
Befragt nach den „wahren Beweggründen“ für seinen Ausstieg bei den Döftels, antwortete John Evangelium, der im wahren Leben Marlon Kraus heißt: „Im Rahmen des Mars-One-Projekts werde ich ab 2015 mit 39 weiteren Kandidaten für den Weltraum trainieren. Dafür brauche ich viel Zeit, die mir für zukünftige Konzerte leider fehlt. Außerdem schwirre ich dann nicht mehr in Worms, sondern irgendwo in einer NASA-Zentrifuge in Nebraska herum.“ In Wirklichkeit hatte Kraus eine Ausbildung bei der Buchhandlung Thalia begonnen und war alles andere als fit genug, um eine Mars-Mission in Angriff nehmen zu können. Trotzdem meldete sich kurz nach Veröffentlichung des Interviews ein Redakteur vom Mannheimer Morgen, der mehr über das Mars-One-Projekt wissen wollte. Schließlich war am 3. Januar 2015 in einem halbseitigen Artikel im Mannheimer Morgen zu lesen: „WISSENSCHAFT: DER WORMSER MARLON KRAUS STEHT IN DER ENGEREN AUSWAHL FÜR EINE MISSION 2025 ZUM ROTEN PLANETEN“. Daneben ein Foto von Kraus vor dem Science-Fiction-Regal seines Arbeitsgebers Thalia, mit dem Buch „Der Marsianer“ in der Hand. In dem Artikel fabulierte Kraus darüber, dass er „wortwörtlich alles Irdische zurücklassen muss“ und stellte sich auf eine Stufe mit Neil Armstrong, da er schließlich „ein Kapitel Menschheitsgeschichte mitschreibt“. Jetzt wurde auch Radio Regenbogen auf den Wormser Astronauten aufmerksam, der kurz danach im Radio über sein „One Way Ticket“ zum Mars sprach. Keine Frage, der falsche Astronaut hat seine Rolle hervorragend gespielt und wäre vermutlich auch noch in der Talkrunde von Markus Lanz gelandet, aber er bekam dann doch kalte Füße, als sich die Anfragen von Medien immer mehr häuften. In der WO! Ausgabe Februar 2015 wurde „Der große Schwindel des Marlon K.“ endgültig aufgelöst. Seitdem wird Marlon Kraus, der falsche Astronaut, in einem Atemzug genannt mit Bernd Fritz, dem „Buntstift-Lutscher“ aus „Wetten dass“, oder Konrad Kujau, dem Fälscher der Hitler-Tagebücher.
DIE VERBOTENE AUSGABE
Die Ausgabe September 2015 geht als verbotene Ausgabe in die bisherige WO! Geschichte ein…
Die WO! Ausgabe September 2015 darf nicht mehr verbreitet werden, weil darin der missglückte Versuch einer Satire unseres Kolumnisten Bert Bims abgedruckt wurde, in der dieser den Dezernenten der Stadt Worms, Hans Joachim Kosubek, beleidigt hatte. Hintergrund war das Fußballspiel TSG Pfeddersheim gegen Wormatia Worms, bei dem erwartungsgemäß mehr Zuschauer mit Autos als Parkplätze vorhanden waren. Das Wormser Ordnungsamt, Kosubeks Dezernat, verteilte an diesem Abend Knöllchen. Verärgert über diese Maßnahme hat unser Kolumnist ein paar Originalzitate von verärgerten Autofahrern aufgeschnappt (und auch abgedruckt), jedoch mit dem Hinweis: „DIESE LEUTE WISSEN ANSCHEINEND NICHT, DASS EINE ÖFFENTLICH AUSGESPROCHENE BELEIDIGUNG RECHTLICHE KONSEQUENZEN HABEN KANN.“ An anderer Stelle fabulierte Bims darüber, dass Denken in Worms noch nicht verboten sei: „Man darf auch unbegrenzt oft Sachen denken wie „Hajo ist….!“, solange man das nicht ausspricht vor Zeugen oder es womöglich noch tausendfach abdrucken lässt.“ Genau das sah der Anwalt von Kosubek ein wenig anders, da die Beleidigung schließlich tausendfach abgedruckt wurde. Im Gegensatz zu den heutigen Zeiten, in denen Gerichte entscheiden, dass man Renate Kienast als „Drecksfotze“ bezeichnen darf, waren die damaligen Beleidigungen wie „Mit Verlaub, Sie sind ein…“ noch relativ harmlos dagegen. Interessanterweise hat Jan Böhmermann nur wenige Wochen danach in seiner Sendung „Neo Magazin Royal“ einen satirischen Beitrag über den türkischen Staatspräsidenten Erdogan ähnlich aufgebaut und damit eine Staatsaffäre ausgelöst. Nachdem Böhmermann den Zuschauern zunächst anhand von Beispielen erklärt hatte, was unter erlaubte Satire fällt, lieferte er danach mit seiner „Schmähkritik“ Beispiele für unerlaubte Satire und beleidigte Erdogan ziemlich massiv. Stichwort: Eselficker. Nichts anderes hatte vom Prinzip Bert Bims mit dem Dezernenten der Stadt Worms gemacht. Im Falle Böhmermann reichte die türkische Regierung eine Strafanzeige ein, Angela Merkel bezeichnete den Beitrag als „bewusst verletzend“. Am 4. Oktober 2016 gab die Staatsanwaltschaft Mainz bekannt, dass das Strafverfahren gegen Böhmermann eingestellt wurde. Es seien keine „STRAFBAREN HANDLUNGEN […] MIT DER ERFORDERLICHEN SICHERHEIT NACHZUWEISEN“, teilte die Behörde mit. Eine Karikatur oder Satire sei keine Beleidigung, sofern „DIE ÜBERZEICHNUNG MENSCHLICHER SCHWÄCHEN [KEINE] ERNSTHAFTE HERABWÜRDIGUNG DER PERSON“ enthalte. Während jedoch Böhmermann von richterlicher Seite Recht bekam, gab unser Verlag klein bei. Wenn Sie sich also wundern, warum unserer Satiriker Bert Bims vermutlich auch in 175 Ausgaben noch bei uns arbeitet, hängt das damit zusammen, dass er immer noch seinen internen Deckel aus der Akte Kosubek abzahlen muss.
DIE TERENCE-HILL-BRÜCKE
Begonnen hat die ganze Geschichte mit einem gebrochenen Versprechen unseres Oberbürgermeisters Kissel…
Der hatte unserem Kolumnisten Peter Englert, der an diesem Abend als Moderator des Backfischfestblogs unterwegs war, vor laufender Kamera versprochen, dass er bei der Einweihung der neuen Fußgängerbrücke über die B9 dabei sein dürfe. Als Kissel dieses Versprechen ein Jahr später brach, reagierte Englert entsprechend „verärgert“ und weihte die Brücke einfach ein paar Stunden vorher selbst ein und zwar auf den zunächst merkwürdig anmutenden Namen „TERENCE-HILL-BRÜCKE“. Begründung: Dieser hatte in den Jahren 1966 und 1967 in dem Zweiteiler „Die Nibelungen“ als Giselher mitgespielt und soll im Zuge dessen sogar zu einer Autogrammstunde im Roxy-Kino gewesen sein. Viel wichtiger jedoch: Da der Westernheld niemals sein Wort brechen würde, sollte der neue Name als Mahnmal täglich daran erinnern, wie wichtig Verlässlichkeit im allgemeinen Miteinander ist. Danke Kissel!!! Also wurde Englerts eigene Einweihung für den Backfischfestblog gefilmt und bei Facebook hochgeladen. Danach fuhr der Peter nach Bad Hersfeld, stand dort bei den Festspielen auf der Bühne und schaltete danach sein Handy ein, das nicht mehr aufhörte zu piepsen. Sein Video mit der Terence Hill Brücke war in der Zwischenzeit ein viraler Hit und in kürzester Zeit fast 80.000 Mal angesehen worden. Am Backfischfestsamstag fand ein Flashmob mit knapp 300 Leuten statt, die standesgemäß mit Transparenten und selbst gebastelten Schildern das neue Brückenwerk feierten, Festbesucher machten Selfies mit dem Westernhelden „persönlich“, der als Pappkamerad auf der Brücke aufgebaut war. In der Folge wurden auch Radiosender wie FFH oder Radio Regenbogen auf die Terence-Hill-Brücke aufmerksam und luden Englert in ihr Studio ein, um darüber zu berichten.
Vom Prinzip war die lustige Geschichte, die die Wormser während der Backfischfestzeit 2016 erheitert hatte, damit eigentlich auserzählt. Bis sich Oberbürgermeister Kissel zwei Jahre später, im Jahr der OB-Wahl, daran zurückerinnerte und im Zuge der anstehenden Deutschland-Tour des Hollywoodstars das Management von Terence Hill kontaktierte, um es zu überzeugen, neben München, Berlin oder Dresden, auch Worms in den Tourplan mit aufzunehmen. Kissels Plan: Open Air Kino im Wormatia Stadion, bei dem Terence Hill seinen neuen Film „Mein Name ist Somebody“ persönlich vorstellt. Anschließend sollte der Namensgeber zur Backfischfesteröffnung „seine Brücke“ einweihen, um dann gemeinsam mit dem OB und Initiator Peter Englert über den Festplatz zu laufen. Um Hills Manager zu überzeugen, schickte Kissel ihm Filmmaterial von Englerts Backfischfestblog, der bereits 2016 die inoffizielle Brückeneinweihung mit Hunderten Wormsern gefeiert hatte. Tatsächlich klappte die Überzeugungsarbeit und das Management von Terence Hill sagte zu, dass der Weltstar am 24.08.2018 auch Worms einen Besuch abstatten würde. Unvergessen das Video, das Terence Hill bei sich zuhause angefertigt hatte: „Ist das wahr, dass ihr einer Brücke meinen Namen geben wollt? Ist das möglich? Wenn ja, ich komme gerne…“ Im Laufe des Tages stürzten sich nahezu alle großen Blätter auf die Meldung, dass der Weltstar nach Worms kommt, um eine nach ihm benannte Brücke einzuweihen. DER SPIEGEL, DIE WELT, DIE ZEIT, BILD, FFH, SWR, ZDF, RTL, SAT 1, VOX – alle berichteten sie über den genialen Marketingcoup der Stadt.
Dass Kissel, der hierbei den Stadtrat übergangen hatte, nach öffentlichem Druck wieder einen Rückzieher machte und die Brücke doch ihren Namen Karl-Kübel-Brücke behielt, ist eine ganz andere Geschichte. Viel wichtiger war jedoch, dass der Weltstar andächtig über das Bauwerk schritt und abends seinen neuesten Film im Wormatia Stadion vorstellte. Terence Hill war im August 2018 tatsächlich in Worms und begonnen hatte alles damit, dass der OB ein Versprechen gebrochen hatte und Englert ihm den Spiegel vorhalten wollte.