Wie zwei Ukrainer in Worms den Krieg erleben und was die Stadt plant

Es war ein trauriger Tag, als am 24. Februar Präsident Putin das wahr machte, was niemand glauben wollte, nämlich das Militär in die Ukraine einmarschieren zu lassen. Es ist ein Krieg, der bis heute Einfluss auf die ganze Welt hat und dessen Ende nicht absehbar ist. Zugleich setzte sich damit auch der größte Flüchtlingsstrom der jüngeren Geschichte in Europa in Bewegung. Auch in Worms sind die Auswirkungen des Krieges mittlerweile angekommen.

Es sind von der Nibelungenstadt bis nach Kiew gerade mal zwei Flugstunden oder 2.000 Kilometer, die zwischen dem Krieg und dem vermeintlich unbeschwerten Frühling in Worms liegen. Ein ganz und gar nicht unbeschwerter Frühling ist es insbesondere für die rund 250 Ukrainer/innen, die seit Jahren in Worms leben und bis heute Verwandtschaft in der Ukraine, als auch in Russland haben. Zwei von ihnen sind die bekannten Gastronomen RICHARD BECKER (Brauhaus 12 Apostel) und IGOR STARIN (The Burger Kitchen). WO! traf sich mit ihnen, um über die aktuelle Situation zu sprechen. Sichtlich bewegt erzählt Igor Starin, der seit 2003 in Deutschland lebt, wie seine Partnerin morgens durch eine nicht enden wollende Flut von Textnachrichten auf ihrem Smartphone geweckt wurde. Nach einem kurzen Blick auf das Display brach sie schließlich in Tränen aus. Als der gelernte Bäcker nach- schaute, was diese in Aufregung versetzte, las er jede Menge Meldungen von Freunden und Bekannten aus der Ukraine, die davon berichteten, dass die russische Armee die Grenze zur Ukraine überschritten hatte. Überrascht war Starin jedoch nur vom Timing. Wie er im Gespräch erklärt, rechneten er und viele seiner Freunde in der ukrainischen Heimat fest mit einer militärischen Aggression. Richard Becker, der seit 1991 in Deutschland lebt, glaubte indes an eine diplomatische Lösung, auch wenn er sich darüber bewusst ist, dass der Konflikt derzeit ziemlich perspektivlos ist. Becker und Starin befürchten allerdings, dass ein „Zuschauen“ des Westens den Konflikt langfristig weiter eskalieren lässt.

UKRAINER HELFEN UKRAINERN

Nach Ausbruch des Krieges war es für sie keine Frage, so schnell wie möglich Hilfe zu organisieren. Die Telefone standen fortan nicht mehr still, zumal beide noch Verwandtschaft in dem Land haben, die aber glücklicherweise im Westen der Ukraine leben. Dort herrscht derzeit noch kein Krieg, weshalb die meisten Kriegsflüchtlinge dort Schutz suchen vor den russischen Bomben. Starin schätzt, dass rund 6,5 Millio- nen Menschen in diese Region geflüchtet sind. Wie Becker ausführt, besteht dennoch die Angst, dass sich der Konflikt auch in diese Region des Landes ausweitet. Während es bei Igor Starin die Großeltern sind, die dort leben, ist es bei Richard Becker der Vater. beide Familien wol- len im Moment nicht ihre Heimat verlassen, was die Sorgen im fernen Deutschland nicht gerade kleiner macht. Um wenigstens die Sorgen von Flüchtenden zu verkleinern, zögerten beide nicht, als die Frage nach Unterkunftsmöglichkeiten aufkam. Insgesamt neun Familien ha- ben die Gastronomen in den ihnen zur Verfügung stehenden Räumen untergebracht. Zudem unterstützen sie bei organisatorischen und fi- nanziellen Fragen, dolmetschen und sind vor allem im regen Kontakt mit weiteren Ukrainern, die in Worms leben. Gab es zuvor keine ausge-sprochene Community, ist man nun näher zusammengerückt. Begeistert ist man aber auch von der Welle der Solidarität, die längst ganz Worms erfasst hat. Immer wieder organisieren Bürger/innen Sach- und Geldspenden, mal für die Menschen in der Ukraine, mal für die Menschen vor Ort, die das meiste Hab und Gut zurücklassen mussten.

STADT BEREITET SICH AUF FLÜCHTLINGE VOR

Kurz vor Redaktionsschluss suchten in Worms 387 Menschen Zuflucht, Tendenz steigend. Die meisten Schutzsuchenden wurden bis dato durch Privatinitiativen untergebracht. Da die Stadt davon ausgeht, dass die Zahl der Flüchtenden in den nächsten Wochen dramatisch an- steigen wird, suchen Verwaltung und Politik nun nach weiteren Lösungen. Oberbürgermeister ADOLF KESSEL berichtete am 22. März im Stadtrat, dass die Zuweisung durch das Land aktuell sehr wenig Vorbereitungszeit erlaube. So seien innerhalb von 24 Stunden bereits 18 Per- sonen über die Zentralstelle in Speyer zugewiesen worden. Die Folge, die Stadt muss nun vorausschauend agieren und ist derzeit auf Wohn- raumsuche. Erste Wohnungen sind bereits angemietet. Auch wenn die Bedingungen nicht optimal sind, plant man zudem eine Unterbringung in der Sporthalle der Nelly-Sachs-IG. Sozialdezernent Herder ergänzte, dass man aufgrund der schwierigen Bedingungen einer Turnhalle (Lärmfaktor) diese nur als Kurzzeitlösung betrachte. Da bekanntermaßen Wohnraum knapp ist, sollen auch leerstehende Wohnungen der Wohnungsbau aktiviert werden. Diskutiert wurde auch, wie es mit Möglichkeiten der Kinderbetreuung oder eines Schulbesuchs aussieht? Derzeit werden schulpflichtige ukrainische Kinder per Skype Verbindung in die Heimat unterrichtet. Kurios wurde die Diskussion, als AfD Mitglied Toni Ras in Bezug auf die schutzsuchenden Frauen die Frage aufwarf, ob man diese nicht als Erntehelfer beschäftigen könne. Beendete wurde diese spontane Jobbörse durch WALDEMAR HERDER, der im gewohnt ruhigen Tonfall erklärte: „Wir sollten als Stadtgemeinschaft Angebote machen, aber die Menschen nicht überfordern. Wir müssen ihnen Zeit geben, die jetzige Situation anzunehmen.“ Spargelstechen ist da wahrscheinlich nicht das richtige Rezept.

Wer ernsthaft helfen möchte, kann sich aktuell unter der Adresse ukraine@worms.de an die Stadt wenden oder montags ins Brauhaus 12 Apostel kommen. Dort findet von 16 bis 18 Uhr ein regelmäßiges Treffen für alle Ukrainer, Helfenden und Interessierte statt. Ziel ist der gemeinsame Austausch, um eine bessere Vernetzung zu schaffen. Zuletzt bleibt noch die Hoffnung, dass der kriegerische Konflikt noch eine friedliche Lösung findet. Die Zeichen stehen indes nicht wirklich gut.

Text: Dennis Dirigo