Stadtarchiv präsentiert zum 950-jährigen Jubiläum Urkunde von König Heinrich IV.
Die Geschichte der Stadt Worms ist reich an historisch bedeutsamen Momenten. Eines dieser memorablen Ereignisse trug sich am 18. Januar 1074 zu. 950 Jahre später erinnerte sich die Stadt gemeinsam mit den Bürgern genau an diesen Tag, als Kaiser Heinrich IV. den Wormsern eine ganz besondere Urkunde überreichte.
Für den Kaiser, der schon vor diesem Ereignis eine gute Beziehung zu der noch jungen Stadt pflegte, war es keine einfache Zeit der Regentschaft. 1056 mit gerade mal sechs Jahren wurde der Sohn Heinrichs III. auf den Thron von Karl, dem Großen, gesetzt. Da er noch minderjährig war, übernahm seine Mutter die Regentschaft. In diesen Jahren der Unmündigkeit kam es zunehmend zu Machtkämpfen, was wiederum Einfluss auf die Zeit hatte, als Heinrich begann, ab 1064 die Amtsgeschäfte zu übernehmen. Seine Ära war dabei von launenhaften Entscheidungen geprägt, die vor allem mit einer Geringschätzung der Fürsten und der Kirche in Verbindung standen. Die Verkettung von Ränkespielen und strukturellen Problemen, wie schlechte Kommunikation, führten schließlich 1073 zu den Sachsenkriegen. Als die Sachsen mit Heeresmacht vor der Harzburg erschienen, sah sich der König nach halbherzigen Verhandlungen zur Flucht gezwungen. Da er es sich mit zahlreichen Adligen verscherzt hatte, gelang es ihm nicht, diese gegen die Sachsen zu mobilisieren. Der zeitgenössische Chronist Lampert von Hersfeld berichtete, dass der König zunächst bis Ladenburg gelangt sei, etwa 35 km von Worms entfernt, wo er schwer erkrankte. Umgeben von Feinden des Königs stand Heinrich mit dem Rücken zur Wand. In dieser Situation im Winter 1073 „putschten“ die Einwohner von Worms gegen ihren Stadtherrn, Bischof Adalbert von Worms, und vertrieben auch dessen Militär. Es ist das früheste Zeugnis, dass die Einwohner einer Stadt als selbst organisierter militärischer Verband auf- und gegen ihren Stadtherren antraten.
Zollfreiheit für Königstreue
Laut Chronist Lampert zogen die Wormser anschließend bewaffnet und bestens gerüstet dem Kaiser entgegen und Heinrich wurde feierlich in die Stadt aufgenommen. Damit verfügte Heinrich, um- geben von Feinden, über eine bestens bewaffnete Befestigungsanlage. Von Historiker und Stadtarchivar Dr. GEROLD BÖNNEN wurde dieser Moment bei einem der Vorträge, die rund um den 18. Januar stattfanden, als ein früher Akt der kommunalen Selbstverwaltung bezeichnet. Einen Begriff, den das mittelalterliche Worms natürlich noch nicht kannte. Was sie jedoch verstanden, war die besondere Form der Anerkennung dieser Tat durch Heinrich IV. Dieser überreichte fast genau ein Jahr später den wehrhaften und mutigen Bürgern dieser Stadt eine ganz besondere Urkunde. Der Kaiser bescheinigte den Bürgern einen Zoll- erlass. Dabei dankte er in dem Schreiben explizit auch der jüdischen Bevölkerung von Worms. Die Urkunde war aber letztlich nicht nur Bürgerstolz, sondern bedeutet auch bares Geld. Zur damaligen Zeit musste bei Handelsreisen in bestimmte Orte, wozu unter anderem Frankfurt gehörte, an die königliche Gewalt eine Zollgebühr entrichtet werden. Insofern war die Urkunde, um es in heutigen Worten zu fassen, ein Steuererlass. Etwas, wovon das heutige Worms so weit entfernt ist, wie das Mittelalter von kommunaler Selbstverwaltung. Bestand hatte übrigens die Zollfreiheit bis Ende des 18. Jahrhunderts, wie Bönnen erläuterte und dabei auf weitere zeitgeschichtliche Dokumente verwies.
Identitätsstiftendes Dokument
Für den Historiker war in den Vorträgen aber auch klar, dass die Urkunde ebenso als Botschaft an andere Bürger im Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen zu lesen ist, die besagt, dass, wer dem Kaiser hilft, auch mit Belohnungen zu rechnen hat. Tatsächlich folgten im Laufe der Geschichte, basierend auf dieser Handlung, noch weitere ähnliche Urkunden in anderen Städten. Wie bedeutsam dieser Moment für Historiker ist, zeigt sich daran, dass sich bis heute immer wieder andere Städte mit diesem Thema auseinandersetzen. Wie Bönnen informierte, ist so auch im Dresdner Stadtmuseum ein Gemälde zu sehen, das diesen Moment der Urkundenüberreichung verewigte. Auch in Worms hat das Ereignis sichtbare Spuren hinterlassen. So findet sich im Rathaus ein Wandbild, das in den 50er Jahren von GERHARD PALLASCH geschaffen wurde. Über dem Nordportal des Wormser Doms befindet sich wiederum eine Nachbildung des Siegels. Wieder einmal zeigte sich, dass Worms im Kontext der Geschichte deutlich mehr als Luther und die Nibelungen zu bieten hat. Eben eine Stadt der Geschichte.
Text: Dennis Dirigo, Foto: Andreas Stumpf