Der Krieg in der Ukraine sorgt für eine Zeitenwende
Es war ein schon viele Jahre schwelender Konflikt, der am 24. Februar 2022 für eine Zeitenwende sorgte, als Russlands Präsident Putin völkerrechtswidrig sein Nachbarland Ukraine überfallen ließ. Seitdem herrscht Krieg auf europäischem Boden und das sorgte für einen Schockmoment im noch jungen Jahr 2022.
Um den Krieg in der Ukraine zu verstehen, muss man vom Prinzip in der russischen Geschichte ganz weit zurück gehen, mindestens aber bis zum Maidan-Putsch in Kiew im Jahr 2014. Dass man damit ein Pulverfass eröffnet hat und die NATO dabei eine eher unrühmliche Rolle spielte, darüber referierte im Juli 2015 der langjährige verteidigungspolitische Sprecher der Bundesregierung, Willy Wimmer, im Wormser Lincoln Theater. Das seinerzeit geführte Interview mit unserem Magazin können Sie auf unserer Homepage nachlesen und ist aus heutiger Sicht aktueller denn je *. Wimmer äußerte schon damals seine Bedenken zur europäischen Außenpolitik, die vermehrt auf Konfrontation mit Russland setze. Auch dass sich der russische Präsident die NATO-Osterweiterung auf Dauer nicht gefallen lassen würde, war für Wimmer schon damals absehbar. Von daher war der Militärschlag Russlands, der dann im Februar 2022 tatsächlich erfolgte, für Kenner der Materie keine große Überraschung mehr. Seitdem hat eine seltsame Kriegsbegeisterung unter Politikern eingesetzt, die immer schwerere Waffenlieferungen in die Ukraine fordern und damit eine künstliche Verlängerung dieses Krieges in Kauf nehmen.
Ausgerechnet von der einstigen Friedenspartei, den Grünen, befeuert, lesen sich manche linke Internetblogs, in denen offen zur militärischen Aufrüstung aufgerufen wird, wie Promoartikel von Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann oder Heckler & Koch. Man muss sich in solchen Zeiten fragen, was eigentlich aus der Friedensbewegung geworden ist? Von Künstlern oder Medien wäre ein Statement zu erwarten, wie „Deutschland darf sich nie wieder an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligen, sei es durch Waffenlieferungen oder eine direkte Teilnahme.“ Stattdessen wird geschwiegen und eine militärische Aufrüstung der Bundeswehr und der NATO als einziges Allheilmittel angesehen. Gerne wird auch behauptet, dass in der Ukraine unsere freiheitlichen Werte verteidigt werden. Was genau sind denn „unsere Werte“? Auf der einen Seite regen wir uns auf über eine Fußball-Weltmeisterschaft, die in einem Unrechtsstaat wie Katar stattfindet, in dem Homosexualität unter schwerer Strafe steht, aber sehen darüber hinweg, dass auch Homosexuelle in der Ukraine ihre sexuelle Neigung nicht offen ausleben können. Das Meinungsforschungsinstitut Pew Reserach Center ermittelte im Jahr 2019 in einer repräsentativen Umfrage, dass nur 19 Prozent der befragten Ukrainer Homosexualität für einen akzeptablen Lebensstil halten, während 69 Prozent dies ablehnen. Damit lag die Ukraine hinsichtlich der Toleranz gegenüber Homosexualität unter allen untersuchten europäischen Staaten auf dem vorletzten Rang vor Russland. Zum Thema Faschismus, der in Russland weit verbreitet ist, muss der Hinweis gestattet sein, dass in der Ukraine ein Faschist wie Stepan Bandera, der für den Tod von 100.000 Juden verantwortlich war, auch heute noch wie ein Nationalheld gefeiert wird.
Und wenn man die FIFA dafür an den Pranger stellt, dass man sich bei der Vergabe der WM nach Katar hat kaufen lassen, muss man auch berücksichtigen, dass die Ukraine eines der am korruptesten regierten Länder Europas ist. Laut dem Korruptionsindex von Transparency International schneidet nur ein Land in Europa in Sachen Korruption noch schlechter ab und das ist erneut der böse Nachbar Russland. Wenn man sich also die Werte beider Länder genauer an- schaut, stellt man so viele Gemeinsamkeiten fest, dass das übliche Schwarz-Weiß-Denken schon wesentlich schwerer fällt. Man muss auch kein Putin-Freund sein, um zu wissen, dass es im Krieg immer zwei Seiten gibt. Und es gibt Kriegsverbrechen auf beiden Seiten. So wirft die Menschenrechtsorganisation Amnesty International der Ukraine vor, dass man bei der Abwehr des russischen Angriffskrieges Stützpunkte und Waffenlager in bewohnten Gebieten, auch nahe Schulen und Kliniken, errichtetet hat und damit das Leben vieler Zivilisten riskiert hat. Aber keine Frage, der Aggressor ist Wladimir Putin. Der russische Präsident hat sein Nachbarland überfallen und ist für den Tod vieler Menschen verantwortlich. Dass man mit so einem Mann, der brandgefährlich ist, nur schwer verhandeln kann, dürfte klar sein. Das trifft im Übrigen auch auf Wolodymyr Selenskyj zu, einem ehemaligen Schauspieler, der zuvor den ukrainischen Präsidenten in einer Daily- Soap gemimt hatte und 2019 zum echten Präsidenten des Landes wurde. Trotzdem ist dies der einzige Ausweg aus der Eskalationsspirale, die wir derzeit erleben.
Alle Parteien müssen sich wieder an den Verhandlungstisch setzen und den Krieg beenden. Dass hierbei beide Seiten Kompromisse eingehen müssen, sollte klar sein. Von deutscher Seite könnte man erwarten, dass man in dieser Sache eine Vermittlerfunktion übernimmt, um wieder für Frieden in Europa zu sorgen. Wer argumentiert, dass man mit einem Autokraten wie Putin nicht verhandeln sollte, vergisst anscheinend, dass unsere Regierung auf der Suche nach billiger Energie mit noch weitaus mehr Schurkenstaaten verhandelt hat. Ist es besser, beide so lange gegeneinander kämpfen zu lassen, bis einer aufgibt? Wenn dies, trotz schwerer Waffenlieferungen aus dem Westen, die Ukraine sein wird, verbessert das nicht unbedingt die Verhandlungsposition der EU. Und sollte Russland als Verlierer aus dem Konflikt hervorgehen, ist dann die Gefahr eines Atomschlags durch den gekränkten Aggressor Putin nicht noch wahrscheinlicher? Lieber jetzt verhandeln, bevor der Flächenbrand immer größer wird, auch wenn man sich für diese Haltung grenzenlose Naivität unterstellen lassen muss. Der Russland-Ukraine Krieg hat laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) bis zum 11. Dezember 2022 mindestens 6.755 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter 424 Kinder. Und das Sterben geht täglich weiter.
Ein Kommentar von Frank Fischer
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