„Theaterbegegnungen“ im Kulturprogramm der Nibelungen-Festspiele
18. Juli 2021 | Heylshofpark Worms:
Nach einjähriger Zwangspause luden in diesem Jahr die Nibelungen-Festspiele wieder zu den beliebten „Theaterbegegnungen“ in der zauberhaften Atmosphäre des morgendlichen Heylshofparks. Rund 150 Interessierte kamen, um einem abwechslungsreichen Programm zu lauschen.
GESANG VS KIRCHENGLOCKEN
Es ist eigentlich schon so was wie eine unausgesprochene Tradition. Pünktlich zu Beginn der Veranstaltung um 11 Uhr starten Dom und Dreifaltigkeitskirche mit ihrem Glockenläuten für geschlagene 30 Minuten. In diesem Jahr schlugen die Veranstalter der klangmächtigen Konkurrenz ein kleines Schnippchen. Statt die Begegnungen mit der Talkrunde zu eröffnen, die ohnehin hoffnungslos übertönt würde, durfte die Festspielmusikerin FLORA LILI MATISZ den Vormittag mit einem 45-minütigen Konzert eröffnen. Bereits bei der Aufführung „Luther“ stach ihre Musik aus dem unentschlossenen Treiben positiv hervor. Lediglich begleitet von einem Keyboard und diversen Loops, komponierte sie einen stimmungsvollen Soundtrack, garniert mit Songs, die irgendwo zwischen den hypnotischen Klängen von „Babylon Berlin“ (der Song „Asche zu Asche“ sei hier genannt) und James Bond Sound pendeln. An diesem Vormittag stellte die kraftvolle Sängerin ein Programm mit Titeln aus „Luther“ und Fremdkompositionen zusammen. Dabei gelang ihr es mühelos, die Glocken vergessen zu machen und selbst zu begeistern. Der Talk folgte im Anschluss.
„SEINE DUNKLEN SEITEN SIND WIRKLICH DUNKEL!“
Von Filmkritiker RÜDIGER SUCHSLANG moderiert, stellte man sich zunächst der Person Martin Luther. LUKAS BÄRFUSS, der Autor des Stückes, erklärte im besten Schweizerdeutsch, dass er dessen Sprachkraft und Sprachschöpfungen mag, fügte dann aber noch hinzu: „Seine dunklen Seiten sind wirklich dunkel.“ Er betonte aber auch, fasziniert davon zu sein, dass Luther begriffen hatte, was publikumswirksam sei. Immer mit der Frage im Kopf: „Wie weit kannst du gehen, um Wirkung zu erzielen?“ Wie Bärfuss ergänzte, eine Frage, mit der sich jeder, der schreibt, befassen würde. Der Fokus von THOMAS LAUE (Künstlerischer Leiter der Festspiele) lag wiederum auf der Kraft des Freiheitsgedankens und er stellte sich selbst die Frage, wie viel Rücksichtslosigkeit es braucht, um seine eigenen Gedanken und Überzeugungen durchzusetzen. Diese Fragestellung führte das Talk Quartett, das durch JOHANNA HABERER (Professorin für Christliche Publizistik an der Universität Erlangen-Nürnberg) komplettiert wurde, unmittelbar zur Verantwortung der Medien und vor allem zu deren Bedeutung. Haberer unterstrich mit einem Zitat des ehemaligen ZDF-Intendanten DIETER STOLTE die Bedeutung: „Eine ordentlich aufgearbeitete, recherchierte Information ist so wichtig wie Wasser zum Leben!“ Eine Gefahr sieht sie wiederum in der zunehmenden Verbreitung von Fake News. Das führte Suchsland zu der Frage, wer entscheidet, was richtig oder seriös ist? Für Lukas Bärfuss stand fest, dass möglichst viele unterschiedliche Stimmen in den wichtigen Debatten zugelassen werden müssen. Am Ende der spannenden Diskussion stand die Erkenntnis, dass eine vielfältige journalistische Landschaft zwingend sei für eine funktionierende Demokratie. Einig war man sich aber auch darüber, dass aus unterschiedlichsten Gründen derzeit eine bedenkliche Erosion der Medienlandschaft stattfindet.
95 STORYS, STATT 95 THESEN
Etwas leichtere Kost durfte TOBIAS STEINFELD dem Publikum präsentieren. Steinfeld, der 2017 den Publikumspreis im Autorenwettbewerb der Festspiele gewann, leitet seit einigen Jahren in den Pfingstferien einen Jugend-Workshop, der in Kooperation zwischen den Festspielen und dem Alisa-Zentrum stattfindet. Aufgrund von Corona nur mit zehn Teilnehmern setzte man sich mit der Frage auseinander: „Wie würde Luther seine Thesen heutzutage der Öffentlichkeit bekannt machen?“. Analog zu dessen Thesen entwickelte die Gruppe „95 Storys“. Neben einem mit Sprüchen übersäten Plakat verfasste man Flyer, mit mal mehr, mal weniger politischen Botschaften („Ich wünsche mir überall so bunte Scheiben wie im Wormser Dom“, „Es soll Frieden geben, Schützt die Welt vor Müll, Frauen sind keine Objekte,…“). Beschlossen wurden die diesjährigen Theaterbegegnungen durch das Duo „FALTSCH WAGONI“ und einem kabarettistischen Beitrag zur Macht des Wortes.