Es ist leider keine gute Nachricht, dass es auch im Jahr 2020 mitten in Deutschland, also auch in Worms, immer wieder zu sexuellen Übergriffen kommt. Die Methoden sind vielfältig, genauso wie die Täter, die sich oftmals gar nicht als Täter begreifen. Im August startete die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Frauennotrufe Rheinland-Pfalz mit der Unterstützung der Frauenministerin RLP, Anne Spiegel, die Plakat-Kampagne „Männlichkeit entscheidest Du!“, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Wir sprachen mit Regina Mayer und Helena Duve vom Wormser Frauennotruf über die Formen sexueller Gewalt und deren Arbeit im Rahmen des Frauennotrufs.

Weitere Informationen unter: Telefon 06241 6094 oder www.frauenzentrumworms.de

Schon vor dreißig Jahren gab es eine Frauenbewegung in Worms, die zum Thema sexualisierte Gewalt gearbeitet hat. Seit 1992 gibt es den Frauennotruf als Fachstelle zum Thema sexualisierte Gewalt und seit 1998 ist der Frauennotruf in Trägerschaft des Warbede Frauenzentrums Worms e.V. im Lutherring. Dieser ist im Umkreis von Worms die einzige Anlaufstelle für Frauen zum Thema sexualisierte Gewalt. Die Nachfrage, sowohl nach Notruf als auch Beratung, ist groß. Sogar so groß, dass die beiden einzigen hauptamtlichen Mitarbeiterinnen alle Hände voll zu tun haben. Im Jahr 2019 nahmen 107 Frauen in 492 Beratungsgesprächen das Angebot wahr. Die Themen sind vielfältig. Von der Aufarbeitung vergangener Missbrauchserfahrungen, bis hin zu sexuell motivierten Konflikten am Arbeitsplatz und Vergewaltigung, ist die Bandbreite enorm. Zusätzlich berät man auch Fachkräfte über den Umgang mit sexualisierter Gewalt. Regina Mayer, die seit 15 Jahren Frauen in Not berät, betont allerdings, dass die Zeit und die personelle Ausstattung kaum ausreichen, um die vielfältigen Probleme ausreichend zu besprechen, insbesondere wenn Gewalterfahrungen aus der Kindheit aufgearbeitet werden müssen. Das führte dazu, dass man im letzten Jahr erstmals Wartelisten einführen musste. Eigentlich hat sich Deutschland durch die Übernahme der „Istanbul-Konvention“ (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) in das deutsche Recht verpflichtet, diese Arbeit umfassend zu unterstützen. Das heißt natürlich im Klartext, Geld zu Verfügung zu stellen, damit die personellen Engpässe beseitigt werden könnten.

SEXUALISIERTE GEWALT IN DER KINDHEIT HÄUFIGSTER GRUND FÜR KONTAKTAUFNAHME

Letztlich ist es nicht nur der enorme Gesprächsbedarf, sondern auch die bürokratischen Herausforderungen, die zunehmen und personelle Ressourcen binden, wie die beiden Frauen erklären. Im Wesentlichen stützt sich die Finanzierung auf vier Säulen: Die Mitgliederbeiträge des Trägervereins, Spenden, sowie finanzielle Zuwendungen von Stadt und Land. Regina Mayer würde sich dementsprechend mehr monetäre Unterstützung der Politik wünschen. Um die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von sexueller Gewalt, insbesondere in der Kindheit, zu unterstreichen, verweist sie darauf, dass unbearbeitete oder wieder aufgebrochene Traumata oftmals auch mit einer Erwerbsunfähigkeit bis hin zu armutsbedingten Einschränkungen einhergehen. Dementsprechend erklärt Mayer, dass sexualisierte Gewalterfahrungen in der Kindheit der häufigste Grund für die Kontaktaufnahme seien. Bei einer Umfrage gaben 38 Prozent an, solche Kindheitserfahrungen gemacht zu haben, 26 Prozent wurden vergewaltigt (Mehrfachnennungen waren möglich). 2019 wurden im Wormser Klinikum acht Frauen nach einer Vergewaltigung medizinisch versorgt. Der Fachstelle geht es aber nicht nur darum, Vergangenes aufzuarbeiten, sondern auch präventiv zu arbeiten, denn natürlich wäre es eine ideale Welt, wenn eine solche Fachstelle überhaupt nicht notwendig wäre.

DIE VIELEN GESICHTER SEXUELLER BELÄSTIGUNG AM ARBEITSPLATZ

Ein Schwerpunkt hat sich in den letzten Jahren in der Arbeit mit Firmen ergeben, denn auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein nicht zu unterschätzendes Thema. Die Gesichter dieser hässlichen Fratze sind vielfältig und vielleicht nicht jedem bewusst, denn auch ein vermeintlich dezenter Frauenwitz oder ein Pin-up Girl an der Büro Wand können für das weibliche Gegenüber sexuell demütigend sein. „Jedes unerwünschte sexuelle Verhalten ist sexualisierte Gewalt!“, betont Mayer. Im Zuge der #MeToo-Bewegung hat das Problem mehr an Aufmerksamkeit gewonnen. Regina Mayer verweist in diesem Zusammenhang auch auf die jüngste Kampagne „Männlichkeit entscheidest Du!“ Gewalt gegen Frauen ist schließlich in erster Linie auf ein verqueres Männlichkeitsbild zurückzuführen, erklärt sie. Im Klartext gesagt, das Gefühl, Recht auf Sex zu haben und dieses auch als Machtinstrument anzuwenden, ist weiterverbreitet als manch einer glauben möchte. Eine repräsentative Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Jahr 2004 ergab, dass jede vierte Angestellte schon mal Erfahrungen mit Gewalt, Diskriminierung oder Belästigung gemacht hat. Nicht jeder Arbeitgeber ist sich dieses Themas bewusst, denn gelegentlich ist es einfach auch Unkenntnis, Beschwerden von Frauen entsprechend einzuordnen. Mit den meisten Betrieben, mit denen Mayer und Duve kooperieren, läuft dies vorbildlich. Aber es gibt auch Ausnahmen, Betriebe, die also kein Bewusstsein dafür entwickeln und in denen letztlich sexualisierte Konflikte oftmals mit dem Verlust des Arbeitsplatzes enden oder eine Spirale des Mobbing in Gang gesetzt wird. Wichtig ist Beiden zu betonen, dass Gewalt gegen Frauen keine Frage von Bildung, Alter oder Ethnie sind.

„ES GIBT KEINE ENTSCHULDIGUNG FÜR SEXUALISIERTE GEWALT“

In einer Pressemitteilung bezüglich der Kampagne erklärt man demensprechend: „Es gibt keine Entschuldigung für sexualisierte Übergriffe und Gewalt: Nicht das Corona-Virus oder etwas anderes ist schuld, sondern die gewalttätige Person ist verantwortlich für das eigene Handeln.“ Provokant stellt man die Frage: „Das sogenannte „starke Geschlecht“ – ist das der ideale Mann? Und was hat das mit Gewalt gegen Frauen zu tun?“ Die Botschaft ist klar: „Männer emanzipiert Euch von toxischer Männlichkeit!“ Wie unterschiedlich die Wahrnehmung der Geschlechter sein kann, erklärt Mayer anhand einer Gesprächsrunde mit Schülern und Schülerinnen. Ein Mädchen erzählte, dass es ihr Angst mache und sie verunsichere, wenn abends eine männliche Person hinter ihr läuft. Die jungen Männer zeigten sich bei dieser Schilderung überrascht und bekannten, nicht zu wissen, wie sie sich verhalten sollen. Im gemeinsamen Dialog klärte man, dass die Lösungen eigentlich recht simpel sind, nämlich für mehr Abstand zu sorgen oder die Straßenseite einfach zu wechseln. Es unterstreicht zudem, eine Sensibilität für andere Menschen zu entwickeln. Die rheinland-pfälzische Frauenministerin Anne Spiegel erklärte in einer Pressemitteilung unlängst: „Mir ist es sehr wichtig, dass sich auch Männer klar gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt positionieren. Es darf nicht nur Sache der Frauen sein, sich damit auseinanderzusetzen, wie die Gesellschaft mit sexualisierter Gewalt umgeht und mit den Strukturen, in denen Frauen ausgenutzt, diskriminiert und missbraucht werden“. Kurzum, der Kampf gegen Gewalt an Frauen darf kein einseitiger sein. Vielleicht bedarf es schlicht mehr emanzipatorischer Arbeit mit Männern. Eine Anlaufstelle für Männer zu schaffen, ist bis heute kein politisches Thema, aber womöglich ein wichtiges Puzzleteil, um das Problem Gewalt gegen Frauen in Deutschland in den Griff zu bekommen.