Den Schwung aus einem kulturell abwechslungsreichen Sommer wollte der amtierende Oberbürgermeister Kissel allzu gerne in die OB-Wahl mitnehmen. Der Fahrplan für Kissels Wiederwahl stand früh fest und fügte sich perfekt ein in seine Wahlkampfstrategie von den zufriedenen Bürgern, die ihrem OB weitere acht Jahre Amtszeit schenken. Und dann kam doch alles ganz anders.
Um ein drittes Mal gewählt zu werden, wollte Kissel nichts dem Zufall überlassen und seinen Wählern einen denkwürdigen Kultursommer bescheren, der den Schluss nahe legen sollte, dass nur er der richtige Oberbürgermeister für Worms ist. Dass der Rheinland-Pfalz-Tag vom 1. bis 3. Juni 2018 zum ersten Mal seit 33 Jahren mal wieder in Worms stattfand, war ein wichtiges Puzzleteil in Kissels Strategie. Es sollte eine Veranstaltung werden, die den Bürgerstolz und die Nähe der Bürger zu ihrer Stadt fördert; stattdessen trieb sie einen Keil in die Bürgerschaft, die im Vorfeld hauptsächlich über die Sperrung ganzer Straßenzüge, den Wegfall ihrer Parkplätze und die ausufernden Sicherheitskosten diskutierte. Denn Kissel wollte nicht irgendein Landesfest, sondern das größte aller Zeiten feiern. Vom Bahnhof bis zum Festplatz erstreckte sich die Veranstaltungsfläche und war damit größer als in der Landeshauptstadt Mainz im Jahr 2000. Aus heutiger Sicht muss man sagen: Hätte man das umfangreiche Programm dieser drei Tage auf zwölf Wochenenden gelegt, hätten die Wormser (und ihre Gäste) einen ganzen Sommer lang ihren Spaß gehabt. Mittlerweile, ein halbes Jahr später, ist von dem Glanz dieser drei Tage nur noch wenig übrig und man diskutiert hauptsächlich über die Kosten, die das dreitägige Mammutprogramm verursachte. (lesen Sie hierzu den Artikel „Es kosten eben, was es kostet – Was vom Rheinland-Pfalz-Tag 2018 übrig bleibt“). Kissel legte sich aber weiter mächtig ins Zeug und fädelte mitten in den Vorbereitungen zum Rheinland-Pfalz-Tag den nächsten öffentlichkeitswirksamen Deal ein, der ihm Stimmen bei der jungen Wählerschaft sichern sollte. Am 24. August sollte Terence Hill nach Worms kommen. Da Kissel aber in der Euphorie über seinen gelungenen Marketing-Coup einen entscheidenden Fehler machte, entwickelte sich auch der Besuch des Weltstars zu einem medialen Eigentor für den OB. (lesen Sie hierzu den Artikel „Kissels Eigentor – Als Terence Hill „seine“ Brücke besuchte).
In den Sozialen Medien wurde Kissel bereits kurz nach seiner eigenmächtigen Verkündung, dass er für eine dritte Amtszeit kandidieren würde, scharf angegriffen. Im Laufe des Jahres wurden die Stimmen immer lauter, die Kissels Amtsführung heftig kritisierten – nicht selten auch unterhalb der Gürtellinie. Gemessen an den Reaktionen bei Facebook konnte der Eindruck entstehen, dass Kissel auf ein Wahldebakel zusteuern würde. Auch innerhalb der SPD gab es frühzeitig kritische Stimmen, die aber nicht laut oder mächtig genug waren, um das Unheil noch abzuwenden. Der seit 15 Jahren amtierende OB aber fühlte sich sicher, setzte im Wahlkampf einzig und allein auf die „Marke Kissel“ und verprellte damit seine eigene Partei. Dass man ihm bei Podiumsdiskussionen nur schwer argumentativ beikommen konnte, steigerte Kissels Selbsteinschätzung nur noch mehr. Kurz vor der OB-Wahl ließ Kissel noch durchklingen, dass er mit einem Durchmarsch im ersten Wahlgang rechne. Und dann musste er am Abend des 4.11. lange Zeit mit dem parteilosen Peter Englert um Platz 2 kämpfen, um überhaupt in der Stichwahl mit Adolf Kessel zu landen. Trotz des herben Dämpfers im ersten Wahlgang, erwachte schon bald wieder Kissels Kampfgeist und die Hoffnung, das Ding noch drehen zu können, wenn es ihm gelingt, die SPD-Basis zu aktvieren, die ihn offensichtlich im Stich gelassen hatte. In den beiden Wochen bis zur Stichwahl gab Kissel noch einmal richtig Gas und nahezu täglich wurden via Facebook neue Wahlversprechen veröffentlicht, was Kissel zukünftig alles machen möchte. Gemessen an den vielen Vorhaben, die Kissel in seiner dritten Amtszeit noch umsetzen wollte, hätte man ihn eigentlich wählen müssen. Aber es ging längst nicht mehr um Inhalte, die Mehrheit der Wähler wollte schlichtweg die Person Kissel nicht mehr. Entsprechend deutlich fiel das Ergebnis der Stichwahl aus. 18.716 Stimmen erhielt der neue Oberbürgermeister Adolf Kessel. Bei Kissel machten nur noch 6.893 Wähler/innen ihr Kreuz. Auch wenn wir den OB nicht immer mit Samthandschuhen angefasst haben, muss man feststellen: Dieses Ergebnis – in seiner Deutlichkeit – hatte Kissel nicht verdient, der wohl zu den fleißigsten seiner Zunft gehört. Gleichwohl waren Kissel mit „Bescheidenheit“ und „Selbsteinschätzung“ zwei wichtige Tugenden im Laufe der Jahre abhanden gekommen, und er lebte lange Zeit in einer Blase, die am 18.11.18 endgültig platzte und ihn unsanft in die Wirklichkeit zurück holte.