Wenn man mit ihm spricht, spürt man geradezu die Energie und Lust am künstlerischen Schaffen bei Roger Vontobel, dem Regisseur der diesjährigen Festspielinszenierung „Siegfrieds Erben“. Nico Hofmann begründete die Entscheidung, den 41-jährigen Schweizer zu verpflichten, mit dessen Gabe, beeindruckende Bilder zu inszenieren und dennoch die Geschichte stets fest im Blick zu haben. Dass er kraftvolle Bilder, die zudem raffiniert arrangiert sind, inszenieren kann, bewies er zuletzt mit gleich zwei Opern-Aufführungen am Mannheimer Nationaltheater (Verdis „Aida“ und Beethovens „Fidelio“, siehe auch Seite 50). Mit seiner charmant-dynamischen Art wurde der Mann mit der markanten Lache dort schnell zum neuen Regie-Darling. In Worms bestreitet er im Schatten des Wormser Doms sein Freiluftdebüt. Dass sein Weg zum Theater führt, war anfangs nicht unbedingt klar. Ursprünglich studierte er Mathematik und Physik, merkte jedoch schnell, dass es ihm mehr liegt, sich der Welt der Gefühle zu widmen. So ist auch die Frage nach der Motivation der Figuren, warum sie bestimmte Dinge tun, Vontobels zentrales Thema, das immer wieder seine Stücke prägt. Auch in Worms treibt ihn genau diese Idee um.


WO! Sie waren schon einige Male in Worms, wie ist Ihr bisheriger Eindruck?
Ich habe von der Stadt selbst bisher nur wenig mitbekommen, da ich mich die meiste Zeit, wenn ich hier war, am Dom befand. Oder ich habe das Theater gesehen, wo ich einige Vorstellungen besucht habe und Vorbesprechungen stattfanden. Was mich an Worms, dem Dom und den Nibelungen Festspielen fasziniert, ist, dass sich die Stadt wie zweigeteilt anfühlt. Etwas, was man in vielen Städten erleben kann.

WO! Man könnte sagen, es ist die Diskrepanz zwischen geschichtlicher Bedeutung und dem, was die Stadt heute nach ihren vielen Zerstörungen noch darstellt?
Genau, so könnte man das sehen.

WO! Sie lieben Herausforderungen. Sie kommen eigentlich vom dramatischen Theater, haben auch Hebbels Nibelungen inszeniert, wechselten anschließend zur Oper und geben nun Ihr Freilufttheaterdebüt. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Open Air ist immer eine Herausforderung, da man so viele Ablenkungen hat. Im Theater ist die Fokussierung auf das Stück baulich vorgegeben. Diese Fokussierung zu finden, das ist eine große Herausforderung. Wir müssen zwar große Bilder finden, und werden sie auch finden, aber das Spektakel interessiert mich eigentlich nicht. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass das Spektakel der zentrale Punkt ist, der verhandelt wird.

WO! Das heißt, dass es schon die Art, Regie zu führen, deutlich beeinflusst?
Ja, muss es unbedingt. Als Regisseur ist es meine Aufgabe, den Zugang so zu entwickeln, dass man es groß ziehen kann und trotzdem genau bleibt.

WO! Sozusagen einen intimen Rahmen schaffen?
Richtig!

WO! Nuran David Calis, Regisseur der letzten Festspielinszenierungen, bezeichnete sich selbst als politischen Regisseur. Ist das eine Sichtweise, die Sie für sich ebenso teilen würden?
Wenn man es in diesem Beruf ernst meint, kann man nicht unpolitisch sein. Man muss sich auch mit der Gegenwart auseinandersetzen, um einen Zugang zu den Stoffen zu finden und eine eigene Meinung zu entwickeln. Insofern würde ich mich auch als politischen Regisseur bezeichnen. Was mich aber auszeichnet, ist, dass ich das Gefühl habe, wenn man den Geschichten, die man erzählt, vertraut und genug Raum lässt, kann man sie genau erzählen. Dann beginnen sie für sich zu sprechen. Das heißt, die Aktualisierung oder das Politische darin ist immanent. Die Frage, wie wir Macht erhalten, z.B. in Bezug auf Hagen, der die Familie verteidigt, ist im Kern schon politisch.

WO! Zwischen der Entstehungszeit des Nibelungenliedes und heute, ist viel Zeit vergangen und dennoch ist auch unsere Gesellschaft noch von Gewalt geprägt. Was reizt Sie an einem Stück, in dem Gewalt eine zentrale Rolle spielt?
Wie es dazu kommt? Was treibt Menschen dazu, in Gewalttaten zu münden? Ist es Getriebenheit, Ausweglosigkeit? Das ist in diesem Stück genauso. Es gibt so viele Möglichkeiten, diese Konflikte zu lösen. Es gibt aber so viele unterschiedliche Interessen, so dass es unmöglich ist, diese zu vereinen.

WO! Hier könnte man auch den Bogen zur Gegenwart schlagen, denn auch heute ist Gewalt immer noch ein beliebtes Mittel zur Durchsetzung von Interessen. Warum hat die Menschheit Ihrer Meinung nach nichts dazu gelernt?
Das ist eine gute Frage, über die ich eigentlich länger nachdenken müsste. Ich würde sagen, dass es dem Menschen immanent ist, dass er seine Verletzungen mit sich herum trägt. Rache ist ein starkes Thema, was ja auch bei den Nibelungen ein großes Thema ist, oder die Frage: „Was wurde mir angetan?“ Es gibt einen schönen Satz bei den Griechen, „Blut fließt nicht rückwärts!“ Wenn etwas passiert ist, ist es wahnsinnig schwer, es wieder rückgängig zu machen. Und wenn dann noch ein anderer Konflikt hinzu kommt oder die Zeit eine Rolle spielt, dann beginnen die Möglichkeiten zu schwinden.

WO! Ist es als Regisseur nicht gelegentlich unbefriedigend, auf all diese Dinge hinzuweisen und dennoch nichts verändern zu können?
Ich weiß nicht, ob es das nicht tut. Natürlich erschafft man nicht eine komplett neue Welt, nur weil man ein Theaterstück auf die Bühne gebracht hat. Aber ich glaube zutiefst daran, dass die Beschäftigung damit, und wenn es nur meine eigene ist, was verändern kann. Wenn eine Geschichte Menschen erschüttern kann, ob positiv oder negativ, kann sie die Zuschauer daran erinnern, dass sie Menschen sind und nicht einfach funktionierende Wesen. Dann hat Kunst auch schon viel verändert.

WO! Sie haben in einem Interview den Satz gesagt, „Theater muss verschwenderisch sein!“ Verschwendung ist in Bezug auf die Nibelungen- Festspiele in Worms durchaus ein Reizthema. Was darf Kunst kosten?
Ich denke, wenn z.B. das Budget der Festspiele dazu genutzt wird, dass sich am Ende sehr viele Menschen Gedanken über das Gesehene machen, dass für die Gäste das Erlebnis einen Mehrwert bedeutet und wenn es nur eine Berührung ist, die da stattfindet, dann ist Kultur unabdingbar, weil Kunst uns zu Menschen macht. Da ist, glaube ich, kein Geld der Welt zu wenig, im Gegensatz zu Summen, die ich sonst so in der Wirtschaft und anderswo kursieren sehe.

WO! Es ist im Grunde paradox. Wir alle wollen zwar schöne Dinge sehen und erleben, aber kosten soll es bitte möglichst wenig.
Das betrachte ich als einen der größten Fehler, die man machen kann. Wenn wir Kultur nicht mehr haben, nur weil sie sich nicht rentiert, können wir einpacken.

WO! Was werden die Zuschauer bei „Siegfrieds Erben“ erleben. Eher eine klassische Inszenierung oder eher eine moderne?
Ich finde, das ist schwer zu beurteilen. Was ist modern, was ist Klassik? Ich möchte vor allem, dass die Menschen auf diese Geschichte einsteigen können. Ich möchte, dass sie merken, dass sie in die Inszenierung eingeschlossen, nicht ausgeschlossen, sind. Ich will die Reibung von Moderne und Klassik, so wie der Dom neben einem modernen Gebäude steht. Ich möchte die Zuschauer herausfordern. Man könnte sagen, die Zuschauer erwartet eine höchst moderne Aufführung mit einer genauen Beschäftigung mit der Vergangenheit – insofern eine pure klassische Inszenierung (lacht).

Wir danken Ihnen für das Gespräch!